Lasst uns mal offen reden – über Lesungen!

Es gibt kein Format im Kulturbereich, das mir so seltsam vorkommt wie Lesungen! Theateraufführungen, Museumsbesuche, Filmvorführungen, Performances – das alles hat einen „Sinn“, der mir unmittelbar einleuchtet. Das alles kann mich mehr oder weniger ansprechen oder begeistern oder gelangweilt zurücklassen – aber noch die misslungenste Aufführung, der langweiligste Film (wenn mir denn so etwas einmal begegnete), würde mich nicht am Sinn der „Institution“ Kino, Theater oder Museum zweifeln lassen. Aber Lesungen?

Ich weiß nicht, wie oft ich schon mit Menschen über Lesungen gesprochen habe, die damit auf eine professionelle Weise zu tun haben (als Verlagsmitarbeiter:innen, als Autor:innen, als Buchhändler:innen) und sich innerhalb kürzester Zeit immer wieder das gleiche Gefühl einstellte: Ratlosigkeit. Ratlosigkeit, warum so wenige (seltener: so viele) Menschen gekommen sind, warum die anschließende Diskussion so schleppend (seltener: so spannend) verlief. Das Resümee ist dann meist ein achselzuckendes: „Man steckt eben nicht drin!“ Oder auch das wechselseitige „Geständnis“, dass man ja selbst auch vermutlich nicht oder kaum einmal zu Lesungen ginge, wenn man nicht zufälligerweise Autor:in oder Buchhändler:in sei …

Lasst uns also doch mal über Lesungen reden! Zunächst aber ein paar Eindrücke und Erfahrungen, die ich selbst in der Rolle als „Besucherin“ und „Autorin“ gemacht habe:

Während ich den „Trubel“, der um die Person des Autors, der Autorin gemacht wird, oft übertrieben finde (der zunehmende „Biographismus“; der Versuch der Verlage, Interesse an einem Text über das Interesse an der Person des Autors, der Autorin zu wecken usw. usf.), war es für mich immer offensichtlich, dass meine Motivation, Lesungen zu besuchen „am Autor, an der Autorin hängt“. Bei meiner ersten Lesung erlebte ich Jurek Becker (es folgten über die Jahre zwei weitere mit ihm), einige Jahre später fuhr ich nach Berlin, um dem Philosophen Ernst Tugendhat bei seiner Abschieds-Vorlesung zuhören zu können und erst vor zwei Jahren war ich froh, dass ich bei einer Lesung von Ruth Klüger im überfüllten Saal noch ein Eckchen gefunden hatte, in das ich mich drücken konnte.

Muss ein Autor, eine Autorin prominent sein, um mein Interesse an einer Lesung zu wecken? Nein, er oder sie kann auch vollkommen unbekannt sein, wenn es etwas gibt, das mich an einem Buch auf eine sehr besondere Weise berührt oder interessiert hat. Aber es ist eben selten ein einziges Buch, sondern in aller Regel erst eine Folge von Büchern, die bei mir das Interesse an der Person der Autorin, des Autors weckt. Weil es so ist, wie es ist, brauchen wir uns also um Lesungen von Jonathan Franzen, Siri Hustvedt oder Karl Ove Knausgård keine Gedanken zu machen – die funktionieren.

Was bedeutet das für „die anderen“ Autorinnen, bzw. Lesungen? Es bedeutet meiner Meinung nach, dass die Lesung (die Veranstaltung) mehr bieten muss, als „nur“: Lesung mit anschließender (dem Zufall überlassener) Diskussion zu sein. Wenn ich zufriedene Rückmeldungen von Veranstalter:innen oder Besucher:innen erhalte, dann liegt das meist daran, dass sich an die eigentliche Lesung ein interessantes Gespräch, ein offener Austausch angeschlossen hat, es liegt selten allein an der „Lesung“.

Wäre ich Buchhändlerin (oder hätte ich Zeit genug, um eine eigene Lesereihe zu veranstalten), dann würde mein „idealer Ablauf“ etwa so aussehen: nach einer kurzen Vorstellung liest die Autorin, der Autor nicht länger als 40 Minuten. Im Anschluss beginne ich ein Gespräch mit der Autorin, das im weiteren Verlauf auch für das Publikum geöffnet wird. Nach maximal 90 Minuten (eher weniger) gibt es die Gelegenheit/Einladung, noch ein Getränk zu sich zu nehmen, den Abend gemeinsam ausklingen zu lassen. Im Fall eines solchen Ablaufs wäre nicht mehr so viel dem Zufall überlassen, würde ein Besuch vielleicht auch interessant sein für diejenigen, die der  konkreten Text nicht rundum begeistert.

Ich glaube nämlich, dass der üblichen Lesung die (vielleicht unreflektierte) Annahme zu Grunde liegt, der „gute Text“ trage die Lesung, wenn denn genug Besucher:innen kommen. Und das funktioniert sicherlich auch manchmal. Aber oft eben auch nicht und dann breitet sich die oben beschriebene Ratlosigkeit aus. An einer Lesung ist das Besondere, die Anwesenheit der Autorin, des Autors – das Buch ist immer „da“, verfügbar. Die Aufgabe besteht also darin, das Besondere zu nutzen und stark zu machen. Meiner Erfahrung nach interessieren sich die Besucher:innen von Lesungen IMMER für Fragen des Schreibprozesses, der Ideenfindung, der Bewältigung von Schwierigkeiten – und der autobiografischen Hintergründe …

Als die Erzählungen „Es wäre schön“ von mir erschienen, habe ich mit sehr guter Resonanz unter dem Titel „4 Texte, 3 Fragen“ eine „gemischte Lesung“ angeboten, bei der ich vier Texte gelesen habe und dazwischen jeweils eine der drei Fragen beantwortet habe, die angeblich (und zum Verdruss vieler Autor:innen!) die Leser:innen am meisten interessieren: Ist das autobiografisch? Woher nehmen Sie Ihre Ideen? Können Sie davon leben?

„Können Sie davon leben“ ist dabei ein gutes Stichwort, denn bevor ich die Diskussion eröffne, müssen wir über Geld reden! Die wenigsten Menschen wissen, dass Lesungen für Autor:innen eine wichtige (oft die wichtigste!) Einnahmequelle sind. Ebenso wenige Menschen wissen, dass Buchhändler:innen bei Lesungen, die sie veranstalten, in aller Regel „draufzahlen“ – zumindest wenn man allein Einnahmen und Ausgaben des Tages gegenüberstellt und „weiche“ Faktoren wie „Kundenbindung“ etc. unberücksichtigt lässt. Wenn ich mir also Gedanken darüber mache, wie Lesungen (besser) funktionieren könnten, dann hat das auch ein sehr reales persönliches Interesse zum Hintergrund!

Dieser Beitrag ist auch eine Reaktion darauf, dass hier auf dem Blog zuletzt die Frage auftauchte, ob ich nicht mal in Thüringen lesen könnte – oder in Wuppertal? Und ich mich gefragt habe, ob das nicht tatsächlich „eigentlich“ funktionieren müsste: eine lokale Buchhandlung zu finden, wenn vereinbart wäre, dass ein paar engagierte Buchbloger:innen die Werbung (mit)übernähmen?

Und jetzt seid Ihr dran! Wie wünscht Ihr Euch Lesungen? Wie sind Eure Erfahrungen und Erlebnisse! Wo sind die Buchhändler:innen oder Veranstalter:innen die Lust haben, mit dem Format zu experimentieren (oder die das schon längst tun!) Wie könnte es vielleicht auch ganz anders gehen?

Für diejenigen, die in Frankfurt sein werden: Kommt doch zu meiner Lesung aus den „Wiederholten Verdächtigungen“ im Rahmen der „Leseinsel der unabhängigen Verlage“ am Freitag um 16 Uhr – danach könnte man ja auch noch ein bisschen über Lesungen oder dies und das plaudern … Es würde mich sehr freuen!

32 Kommentare

  1. Ich bin selbst Autor, bisher mit zwei Lyrikbänden beim Deutschen Lyrikverlag Aachen unterwegs. Mein Plan ist, am 6. Dezember 2015 in Würzburg eine Autorenlesung zu veranstalten. Ich kombiniere es mit einer Vernisage und Musik. Es werden ein paar Tröpfchen meiner Gedichte zu hören sein. Warum mache ich das? mein Motiv ist, in dieser Advenstszeit ein paar Oasen anzubieten für Stadtmenschen, die den Trubel satt haben, bevor er überhaupt losgeht. Kommen Menschen, ist es gut, kommen keine, was ich nicht glaube, dann bin ich sicher nicht beleidigt, denn es war dennoch eine schöne Vorbereitungszeit. Ich denke auch, dass meine Identifikation mit meinen Texten wächst, wenn ich selbst meine Lyrik vorlese und ich werde wohl auch selbst Neues entdecken. (Volker Tesar, Würzburg, “Lebensfunken” und “Sternfunken” im Deutschen Lyrik-Verlag Aachen)

    1. Da wünsche ich gutes Gelingen und vielleicht liest das ja hier jemand aus Würzburg oder Umgebung – solche Zufälle liebe ich ja … Und dass das Lesen den Text nochmals in einem anderen Licht erscheinen lässt, habe ich auch schon öfter erlebt … Viele Grüße und wie gesagt: Alles Gute!

  2. Liebe Jutta,
    das Thema Lesungen beschäftigt mich schon lange, weil ich leider viele wenig inspirierende erlebt habe. Wenn ich zu einer Lesung gehe, möchte ich in erster Linie den Autor, die Autorin kennen lernen, nicht das Buch, das ich selbst lesen kann. Deshalb sollte der Schwerpunkt für meinen Geschmack nicht auf dem Lesen liegen, das ich meist als zu lang empfand, sondern auf dem anschließenden Gespräch, was häufig nur gequält vorankommt. Deshalb finde ich deine Idee sehr gut, daß ein/e Moderator/in das Gespräch eröffnet – und bitte auch in Gang hält! Dabei sollte es weniger um die Thematik des Buches gehen, sondern genau um die Hintergründe, die du ansprichst.
    Beste Grüße!

  3. Ein wie mir deucht ambivalentes Thema. Zuweilen etwas steife Veranstaltungen und nicht allzu oft glücklich. Liegt wohl auch daran das ein gutes Schreibprodukt nicht zwangsläufig auch von seinem Autor gut gelesen wird. Zuweilen erlebte ich da schon desaströse Abende nur weil eine MickyMouse oder eine leise Piepsstimme das Schreibfeine nicht transportieren konnten. Vieles lag oder liegt wohl auch am Veranstalter. Doch gerne höre ich das gesprochene Wort und lass mich tragen von diesem Erlebnis.
    So meine spontanen Zeilen.

    1. Vielen Dank für deine spontanen Zeilen! Ich habe auch schon erlebt, dass ein Autor seinen Text regelrecht „kaputtgelesen“ hat – und ich ganz überrascht war, dass ich mit dem Text ja doch etwas anfangen konnte – als ich dann selbst las.
      Und natürlich gibt es auch Texte, die durch das Vorlesen gewinnen, während andere vielleicht sogar verlieren … Was auch am Publikum liegen kann, das manchmal so extrem auf die komischen Aspekte eines Textes „anspringt“, dass der Text einen ganz anderen Charakter zu bekommen scheint … Das war jetzt mal meine spontane Replik 😉

  4. Gute Erfahrungen habe ich mit unserem gemischten Programm gemacht. D.h. ich lese insgesamt 10 Ausschnitte aus meinem Krimi und die Band eines Freundes spielt dazwischen ihre Musik. Diese Mischung ist bisher drei Mal gut angekommen. Am 24. Oktober veranstalten wir den Abend ein weiteres Mal.
    Nachteil: Funktioniert nur heimatnah, denn neun Leute unter einen Hut zu bekommen …

    1. Vielen Dank für den schönen Hinweis – ja Musik ist eine wunderbare Ergänzung zu Lesungen. Ich habe vor vielen Jahren gemeinsam mit der Sängerin Inka Henze (die unfassbarer Weise nicht mehr lebt) ein gemeinsames „Fußball“-Programm aufgeführt: „Vittoria, Vittoria!“. Wir waren vorher skeptisch, ob es wirklich „funktionieren“ würde und tatsächlich hat es das so gut, dass etwas wirklich Eigenes entstanden ist. Wer Lesungen unter dem Einkommensaspekt betrachtet oder betreibt, hätte natürlich bei nur noch einem Zehntel Gage ein Problem … Herzliche Grüße und alles Gute für die nächste Lesung!

  5. Liebe Jutta,
    hiermit gestehe ich, dass ich letztes Jahr im Dezember meine erste Lesung besucht habe. Mir ist nicht einmal klar, weshalb ich in den Jahren vorher nie auf die Idee gekommen bin und erst einen Anreiz gesehen habe, als mein eigenes Buch auf den Markt gekommen ist, ich mich auf das Lesen vorbereiten musste. Schriftstellernden Menschen nahe zu sein oder gar eine Unterschrift von ihnen zu erbitten, war mir nicht wichtig. Mittlerweile hat sich das geändert, weil ich gemerkt habe, dass es einen Unterschied macht, ob ich das Buch lese oder die, die es geschrieben haben. Es ist nur eine Nuance, aber die bietet den Genuss. Vielleicht ist es vergleichbar mit einem Stück, bei dem ich die Möglichkeit habe, es im Theater, Kino oder Fernseher zu erleben. Alle Variationen werden unterschiedliche Reaktionen auslösen. (Ein Autogramm ist mir noch immer nicht wichtig.)
    Dabei benötige ich keinen Schnickschnack. Musik ist in Ordnung, wenn sie wirklich passt. Als ich aber neulich eine Lesung mit erklärender Diashow mitmachen musste, war ich so genervt, dass ich vor dem weit entfernten Ende gegangen bin.
    Auch ein wichtiger Punkt: das Ende bzw. die Länge einer Veranstaltung. Mir genügen 40 Minuten Lesezeit – für mein eigenes Lesen aber auch als Zuhörerin.
    Das, was mir bei deiner (Wall-Saal) und einer weiteren Lesung besonders gefallen hat, war die Moderation. Für das Publikum und für mich als Lesende ist es eine Erleichterung, geführt zu werden. Das Publikum steigt schneller in einen Dialog ein, ich selbst bin entlastet und kann mich zurücklehnen. Auch wenn eine Lesung kein Kraftakt ist, spüre ich den Abfall der Konzentration und Motivation, die Entertainerin zu spielen. Ein Kraftakt ist es nämlich, stummes Publikum zum Sprechen zu bewegen. Als Zuhörerin traue ich mich eher, eine Frage zu stellen, wenn das Gespräch vom Moderator schon eingeleitet wurde.
    Und dann kommen die bekannten Fragen nach autobiografischen Anteilen. Die mögen nervig sein, haben aber eine Berechtigung. Finde ich. Jemand, der nicht schreibt, kann sich vielleicht nicht vorstellen, einen Stoff aus der Fantasie zu schöpfen. Außerdem ist die eigene Geschichte ja tatsächlich enthalten, und wenn sie nur soweit geht, dass die Idee am Straßenrand herumlag. Warum hat der Autor sie gesehen und aufgehoben? Diese Frage nach der Motivation kann intim sein oder erscheinen. Wenn ich sie hundert Mal beantwortet habe, bin ich vielleicht auch genervt, aber meine Zuhörer wissen nichts davon, dass ich die immer gleichen Dinge auf Lesungen erzählen muss. Wenn ich bereit bin, mich einem Publikum zu stellen, gehört das eben dazu.
    Wie so oft, wenn du einen Diskussionsstoff hinhälst (wie einen Köder), liebe Jutta, nehmen die Gedanken kein Ende, beginnen die Fragen. Zum Beispiel frage ich mich, ob eine Lesung zu einer Großveranstaltung ausarten muss, ob nicht das reine Lesen und Zuhören ein Genuss sein kann. Es ist nämlich erstaunlich, wie schwer es schon Kindern fällt, ein Bilderbuch bis zum Ende anzuhören und anzusehen.

    Und zum Schluss: Deine Premierenlesung im Frühjahr war klasse! Ich kannte dich nicht, und der Artikel im Weser Kurier hat mich neugierig gemacht. Natürlich steckte auch das Lernen-Wollen hinter meinem Besuch, aber die Geschichte deines Buches und die Autorin haben mich vor allem interessiert. Es war eine Bereicherung.
    Wenn ich mich zurücklehnen kann, in eine Geschichte entführt werde, ist die Lesung perfekt.

    1. Liebe Sylvia, vielen Dank für deinen Kommentar, der ja ungemein viele Facetten von Lesungen aufführt und dann auch noch so ein freundliches Feedback für meine Wallsaal-Präsentation enthält – keine Frage, das freut mich sehr!
      Was mich auch überrascht, wieviele Menschen, die gerne lesen und Buchinteressiert sind, noch nie bei einer Lesung waren. Also auch gar nicht wissen, was sie da erwartet.
      Was du zu den „unbeliebten“ Fragen schreibst, sehe ich sehr ähnlich: es ist ein Gebot der Höflichkeit wie auch der Professionalität Fragen „vernünftig“ zu beantworten.
      Habe ich noch was vergessen? Vermutlich. Dann trage ich es noch nach … Für den Moment – sehr herzliche Grüße!

  6. Wenn ich zu einer Lesung gehe, dann interessiert mich der Autor, weniger sein Text, den ich (idealerweise schon gut) kenne. Wie oben schon erwähnt wurde, manchmal sind Autoren grässliche Vorleser, auf auf Teufel komm raus mit einem Musiker zu reisen würde ich auch nicht empfehlen.
    Aber ich stimme zu, dass ich am liebsten einen persönlichen Eindruck von dem Menschen hinter dem Buch gewinnen will (dieser *würg* Look-and-feel-Effekt). Von daher würden die von dir erwähnten Fragen auch mich interessieren.
    Darüber hinaus: Als Bloggerin hat man dich bestimmt auch schon mit Stöckchen beschmissen. Wie wäre es, wenn du dir einen einigermaßen nicht-trockenen Fragenkatalog zusammenstellst und den quasi im Anschluss an die Lesung „abarbeitest“, gern mithilfe eines/einer freundlichen Veranstalters/Buchhändlerin als Moderator, falls keine passenden Fragen aus dem Publikum kommen? Bisschen Humor geht immer! 🙂
    Liebe Grüße, viel Spaß und Erfolg auf der Buchmesse
    Christiane

    1. Liebe Christiane, ich danke dir sehr für deinen Kommentar! Und werde deinen Rat beherzigen (tue es eigentlich auch schon 😉 und mir selbst im Vorfeld einer Lesungen überlegen, welche Fragen für das Publikum vermutlich interessant sein könnten. (Und da bin ich natürlich in einem „strategischen Vorteil“ schon dadurch, dass ich durch die Kurse und Werkstätten ständig mit Fragen aller Art konfrontiert bin …) Herzliche Grüße nach Hamburg!

  7. Liebe Jutta,
    ich denke auch, dass eine Moderation sehr gute Dienste leisten kann, erst mit dem Autor, der Autorin ins Gespräch zu kommen, dann auch das Publikum mit einzubeziehen. Wie hier schon geschrieben wurde: das Publikum ist oft erst einmal ratlos, viele haben den Roman, die Gedichte vorher nicht gelesen und haben deshalb kaum Fragen. Sich über die Biografie, den Schreibprozess (gerade dieses Thema ist ja überhaupt nicht belanglos, sondern gibt ja auch Einblicke in die poetischen Prinzipien des Schreibens) anzunähern und so das Eis zu brechen, ist doch erst einmal eine gute Idee. Danach traut sich ja vielleicht auch das Publikum – bei dem doch auch viele Menschen sind, die einfach Angst haben, vor einer größeren Menge zu sprechen und die eigenenen Fragen zu stellen und zu erläutern – eigene Fragen beiszusteuern.
    Diese Art der Lesung habe ich schon öfter erlebt und als sehr angenehm und bereichernd empfunden.
    Auch die andere Art der Lesung kenne ich, nämlich ohne Moderation, ohne erste vorbereitete Fragen. Und da scheinen dann vor allem – ich muss es jetzt einfach mal so despektierlich sagen 🙂 – (gymnasiale) Deutschlehrer zu Hochform aufzulaufen und versteigen sich in pseudo-literaturwissenschaftliche Anmerkungen (gähn). Die Lesung wird dann so schräg, wie wir es aus Hape Kerkelings genialem „Hurz“ kennen.
    Und wie Du vorgeschlagen hast, auch noch anschließend bei einem Glas irgendetwas noch zwanglos zusammenzustehen, halte ich sowieso immer für einen ganz gelungenen Ausklang.
    Lange Rede kurzer Sinn: ich finden Dein Lesungskonzept super und würde gerne kommen!
    Viele Grüße, Claudia
    PS: Weil die einen in Urlaub, vor allem aber alle anderen auf der Buchmesse sind, kümmere ich mich in der nächsten Woche ganz verstärkt um die „rheinische“ Lesung!

    1. Liebe Claudia, ich danke dir sehr für deinen vielschichtigen Kommentar – und auch für die Hinweise auf „Hurz“ und die Fragesteller, die wenig subtile Hinweise auf ihre Klugheit und Belesenheit von sich geben 😉
      Andererseits denke ich manchmal, dass dazu auch das oft formulierte „Verbot“ von Statements beiträgt, das nur „Fragen“ erlaubt. Das führt dann zu solchen verdrehten Einleitungen wie: „Würden Sie mir zustimmen, dass …“
      Aber viel wichtiger ist ja, dass wir übereinstimmen, wie es besser gehen kann und noch wichtiger, dass du weiterhin Lust hast, eine „rheinische“ Lesung mit zu unterstützen. Ich wüsste vielleicht auch in Köln eine Buchhandlung … Das werden wir nach der Buchmesse im Auge behalten! Sehr herzliche Grüße und schöne Lesungen 😉

  8. Lesungen, auf die Idee wäre ich in meinem Leben nicht gekommen dorthin zu gehen, wenn es dich nicht gegeben hätte.
    Was ich sicher konnte, war lesen. Nicht vorlesen. Ich hatte es in der Schule gelernt. Zuerst mit Mühe, dann mit Lust. Wozu irgendwo hingehen, der vorliest.
    Ich kannte nur das freie gesponnene, erfundene, phantasievolle Konstrukt einer Geschichte das uns Kinder, mein Großvater erzählte. Immer wenn die Familie sich traf, oder gerade deswegen.
    Alle saßen zu später Stunde bei Kerzenschein um ihn herum. Jedes Mal hatte die Geschichte
    (der sechsköpfige Drache) eine Erweiterung und die war an Spannung nicht unter- oder zu überbieten. Wie konnte ich ihn fragen, woher nimmst du deine Ideen. Hast du Spaß daran. Warum hackst du nicht lieber Holz mit uns, baust eine Hundehunde.
    Mein Großvater verdiente kein Geld mit seinen Geschichten. Er kam auch nicht auf den Gedanken sie auf zu schreiben. Aber er lehrte uns Ehrfurcht. Vielleicht ist es die Ehrfurcht vor dem Könner/n. Dem Künstler der Sprache, dem Phantast, dem Erfinder. Vielleicht auch nur vor dem Anders sein und doch gleich.
    In allem was ich tue, als Maler, Bildhauer, Musiker, Autor, Designer, Koch bin ICH, in meiner Person. Meine Arbeit, mein Können ist meine Befriedigung, gleichzeitig auch meine Befriedung. Warum also Fragen. Ich kann nicht wirklich antworten, ich empfinde Lust, ich empfinde Verdruss, ich empfinde Verlust. Keiner will es glauben, geschweige denn hören. In allem was ich als Künstler tue, steckt mein Atem, mein Leben.
    Ich will auch nicht die Nähe, denn nah sein kann ich ihm/r nicht wirklich. Ich will ihm/r Respekt erweisen und das tue ich, indem ich anwesend bin. Ich möchte sein/ihr Buch kaufen können. Es eigentlich sofort in Besitz nehmen.
    Stille und Applaus sind manchmal mehr als tausend Fragen.
    Nichts muss, alles kann.

    1. Liebe Monika, vielen Dank für diesen Kommentar und die schöne Erinnerung an deinen Großvater, der ja offenbar ein großartiger Geschichtenerzähler war!
      Und was bislang noch gar nicht genannt wurde und worauf du hinweist: manchmal entsteht bei Lesungen eine konzentrierte Aufmerksamkeit, die nicht nur die Autorin freut, sondern die auch das Publikum zu genießen scheint.
      Zuletzt wünsche ich mir, es möge sich weiter herumsprechen, dass der Kauf eines Buches am Ende der Lesung eine schöne Möglichkeit ist, der Autorin, dem Autor Anerkennung auszusprechen 😉
      Herzliche Grüße!

  9. Warum so viele Gänsefüßchen in deinem Text? Du bist doch die Autorin, nicht die „Autorin“. Und „die anderen“ sind die anderen. Willst du damit sagen, dass dir die Rollenverteilung in einer Lesung seltsam vorkommt, und du dich dabei nicht wohl fühlst?

    1. Zunächst, du rennst bei mir offene Türen ein: Immer wieder nehme ich mir vor, sparsamer mit Anführungszeichen umzugehen und immer wieder gibt es „Rückfälle“ (da! schon wieder!). Und auch in diesem Beitrag sind es vielleicht ein paar zu viel, ich bin mir nach nochmaliger Lektüre nicht sicher. Ich glaube es hat in diesem Fall vor allem damit zu tun, dass ich über Lesungen aus den verschiedenen Perspektiven/Rollen schreibe, in denen ich mich selbst dabei ja befinden kann. Und obwohl ich auch zu der ein oder anderen „Verdruckstheit“ neige, zählt dazu aber nicht (mehr) ein Unbehagen in der Rolle als „Autorin“ 😉
      Jedenfalls danke ich dir, dass du mein Nachdenken sowohl über Lesungen als auch über Anführungszeichen weiter befördert hast!
      Herzliche Grüße!

  10. Ich mag Lesungen, wahrscheinlich ganz einfach aus dem Grund dass ich es geniesse vorgelesen zu bekommen. All die von mir besuchten Veranstaltungen waren meist moderiert und immer interessant, wenn nicht sogar spannend.
    Ein Poet, der ein Meister im Vorlesen seiner Gedichte war/ist Charles Bukowski. Leider habe ich ihn live nicht erleben können, aber es gibt Aufnahmen seiner Lesungen, die den Bogen von Performance, Publikumspöbelei, Spass, Witz und Selbstironie bis hin zur Anarchie schlagen.
    Ein gutes Beispiel, dass Lesungen nicht langweilig sein müssen. 🙂

    1. … vielen Dank für den schönen Link! Schon länger habe ich den Eindruck, dass du gut darin bist, die richtige Auswahl zu treffen! Ich habe schon öfter Lesungen erlebt, die irgendwie „uninspiriert“ waren. Aber natürlich auch großartige Gegenbeispiele: Jandl, der mich sehr beeindruckt hat oder Jurek Becker (gleich mehrfach) …

  11. ach Jandl hätt ich auch gern live erlebt! Bei Jurek Becker fällt mir Irreführung der Behörden im Bücherregal meiner Eltern ein, Nie gelesen, werd ich nachholen müssen.
    Die Lesung die mich am meisten berührt hat, war eigentlich gar keine Lesung sondern eine Vorlesung von Jeanette Winterson. Während dieser wurde ich mit so vielen Glücks-, Traurigkeits- und Herzensmomenten beschenkt, dass ich ihr danach gleich Orangen, Pralinen und Blumensträusse als Widergutmachung schicken wollte.

    1. Das ist jetzt mal wieder einer der Zufälle, die ich so ganz besonders liebe, denn ich war vor einigen Tagen auf der Suche nach dem Namen von Jeanette Winterson, von der ich (das wirst du jetzt vermutlich nicht für möglich/tolerabel halten) noch nichts gelesen habe, aber nach allem, was ich von ihr gehört habe, dass umgehend ändern möchte. Aber wie nach jemandem suchen, deren Namen man nicht kennt … Immerhin fiel mir die Frau ein, die sie mir allerwärmstens empfohlen hatte, aber ich war noch nicht dazu gekommen, ihr zu schreiben – und nun kommt sie hier durch dich hereinspaziert. Wunderbar! Was Jurek Becker betrifft: Ich würde dir mehr noch als die „Irreführung…“ „Bronsteins Kinder“ empfehlen. Oder „Aller Welt Freund“, das ich kürzlich nach sehr langer Zeit mal wieder in den Händen hielt und bei dem ich für möglich halte, dass es etwas unterschätzt geblieben ist – auch bei mir … Sehr herzliche Grüße!

      1. wie wunderbar! aber du weisst, es gibt keine Zufälle sondern nur Fügungen 🙂
        ich bin auf Jeanette auch durch eine Freundin gestossen (mit der ich mir auch schon bei Milan Kundera’s Unsterblichkeit einig war). Mein Lieblingsbuch von ihr, und für mich jenseits dieser Welt, ist „Verlangen“.
        Dann werde ich gleich mal nach Bronstein’s Kindern suchen (klingt wie einer deiner Schreibanregungen :))
        liebe Grüsse!

        1. … ich bin von meiner Zufalls-Überzeugung eigentlich nicht so einfach abzubringen, aber zuletzt … 😉 Gibt es eigentlich im Goethe-Institut in London eine öffentliche Bibliothek, habe ich mich gerade gefragt? Dir einen schönen Tag!

          1. das habe ich mir gedacht 😉
            eine gute Idee mit dem Goethe-Institut, leider ist es im feschen Westlondon, wo ich nicht so oft hinkomme. Ich werde einfach beim verpönten Amazon bestellen und eine weitere Buchhändlerin um ihren Job bringen.
            Lass mich wissen wie du Jeanette Winterson’s Bücher findest!
            danke, der wunderschöne Tag ist in vollem Gange, habe gerade mit Raymond Chandler im Park in der Sonne gesessen 🙂

                1. Mir geht es ja eigentlich auch bei den AutorInnen von Kurzgeschichten, die ich schätze so: maximal ein Drittel der Texte finde ich richtig gut, ein Drittel so naja und mit einem Drittel kann ich wenig/nichts anfangen. Bei Carver ist es vielleicht noch etwas ungünstiger, aber die Texte, die ich gut finde, die finde ich so überragend wie ganz wenige … Und dann noch diese Tragik mit dem Lektor … die Briefe … Schönen Tag!

Ich freue mich über Kommentare!

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