Ich habe drei. Drei Lektorinnen. Das ist ungewöhnlich. Heutzutage liest man ja eher davon, dass es immer seltener wird – das vernünftige Lektorat eines Textes. Wobei man andererseits selten etwas über die konkrete Arbeit von Lektor:innen liest. Wenn, dann ist es meist die Frage: Warum hat der Lektor das nicht verhindert? „Das“ sind dann grobe stilistische Schnitzer oder orthografische Fehler und ich muss gestehen, dass ich mir diese Frage hin und wieder auch schon gestellt habe. Und sie gleichzeitig auch falsch finde, weil in ihr eine seltsame Vorstellung von der Beziehung zwischen Autor:in und Lektor:in zum Ausdruck kommt. Als sei der Lektor, die Lektorin eine Art „Aufpasser „. Als habe der Lektor, die Lektorin das „letzte Wort“. Aber es gibt gute Gründe dafür, dass es die Autor:innen sind, die das „letzte Wort“ haben. Und damit liegen sie dann eben manchmal auch gründlich daneben.
Ein Fall, in dem der Lektor lange Zeit „das letzte Wort“ hatte, ist die vielleicht tragischste Beziehung zwischen einem Autor und seinem Lektor, die es je gegeben hat: die Zusammenarbeit zwischen dem Autor Raymond Carver und seinem Lektor Gordon Lish. Der bereits 1988 mit fünfzig Jahren gestorbene Raymond Carver wurde u.a. mit dem Kurzgeschichtenband „Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden“ (1981) weltweit berühmt und gilt seither als einer der bedeutendsten Kurzgeschichten-Autoren der Gegenwart. Darüber, dass sein Lektor Gordon Lish massive Eingriffe in den Text vorgenommen hatte, war lange spekuliert worden. Mit dem Erscheinen von „Beginners. Uncut – die Originalfassung“ (dt. 2012/ i. Original: 2008), das auch Auszüge aus dem Briefwechsel enthält kann jede/r genau lesen, wie Carvers Versionen aussahen – und welche radikalen Kürzungen und Veränderungen Lish daran vornahm.
„Ich liebe dich von Herzen, das musst du mir glauben. Aber ich kann diese Geschichten nicht schreiben, wenn ich mich dabei nicht frei fühle – wenn ich mich nicht frei fühle, werde ich sie überhaupt nicht schreiben -, wenn ich das Gefühl habe, dass Du, der Leser, den ich am meisten schätze, die Geschichten, wenn Du sie nicht magst, von Grund auf neu schreiben wirst. Wenn ich mir das vorstelle, fällt mir der Stift sofort aus der Hand, und ich kann ihn vielleicht nie wieder aufheben …“ (Raymond Carver an Gordon Lish)
Wer mehr darüber erfahren möchte, findet weitere Hintergründe in einer interessanten Rezension von Paul Ingendaay aus dem Jahr 2012 in der FAZ mit dem Titel: „Sein Lektor machte ihn zum Markenartikel“.
Und was hat das nun alles mit mir und meinem Roman zu tun, der im kommenden Frühjahr unter dem Titel „Wiederholte Verdächtigungen“ bei Klöpfer & Meyer erscheinen wird? Nun, ich habe gerade die Vorschläge und Anmerkungen und Korrekturen in den Text eingearbeitet, die mir von der sehr aufmerksamen Verlagslektorin zugesandt worden waren – und dass dabei keine ganz großen Überarbeitungen und Veränderungen erforderlich waren, dass es keine „großen Baustellen“ gab, lag vor allem daran, dass der Text schon drei (zurückhaltend gezählt) ganz große Überarbeitungen durchlaufen hatte. Und diese wiederum hatten das ebenfalls ungemein aufmerksame Lektorat der Schriftstellerinnen Kerstin Becker und Ulrike Ulrich durchlaufen, weswegen ich in dieser Hinsicht in einer ungemein luxuriösen Situation bin.
Ich meine das vollkommen ernst. Wenn ich heute die Geschichten erzähle, die Texte schreibe, die „darauf warten, von genau mir erzählt zu werden“, dann liegt das daran, dass ich die Suche danach mit einer großen Hartnäckigkeit und Ausdauer betrieben habe – und es liegt auch daran, dass mir auf der Suche diese beiden wunderbaren Kolleginnen über den Weg gelaufen sind und wir seither in einem nahezu unablässigen Austausch über unsere Texte sind. Vor Jahren las ich einmal, dass die Aufgabe eines guten Lektors darin bestünde, den Autor, die Autorin dabei zu unterstützen, dass der Text die Qualität, die er an einigen Stellen bereits hat, durchgängig entfaltet. Ich glaube nicht an Talent und nicht an Disziplin, aber ich glaube an Ausdauer und Praxis und Genauigkeit – und an die Notwendigkeit, differenzierter und konstruktiver Rückmeldungen. Ich danke Euch sehr!
Liebe Jutta, zunächst war mein spontaner Gedanke bei der Überschrift – gleich drei? Das hat sie doch gar nicht nötig! Aber – wie man auch am Beispiel Carver sieht – es gibt solche und solche Lektoren (Gegenleser, Vertrauensinstanzen, konstruktive Kritiker im besten Falle). Und dann ist es wirklich ein Glück, drei Menschen zu haben, denen man bei dieser heiklen Sache des Schreibens vertrauen kann. Und endlich rückst Du mal mit dem Romantitel raus 🙂
Liebe Birgit, es ist wirklich ein Glück! Und was den Titel betrifft – solange noch unklar war, ob er nicht „nur Arbeitstitel“ bleibt, wollte ich ihn zur Vermeidung etwaiger Missverständnisse lieber noch nicht verbreiten, aber mittlerweile bin ich da ganz zuversichtlich 😉
Das Buch wird vorgemerkt!
Ich hätte es dir vielleicht in einem meiner eher seltenen Anfälle großer Kühnheit sogar empfohlen 😉
Ich setze dann doch sehr auf einen seltenen Anfall von großer Kühnheit, da meine Listen die Eigenschaft haben, zu verschwinden oder an Farbe zu verlieren. Ein Hinweis an dieser Stelle würde mir darüber hinaus wesentlich besser gefallen, als zwei, drei Kritzelworte von mir.
Liebe magguieme,
ehrlich gesagt beobachte ich gerade mit Verwunderung, dass ich alle diesbezüglichen Skrupel im Begriff bin, über Bord zu werfen und halte nicht nur möglich, sondern sogar für wahrscheinlich, dass ich ganz unverblümt an dieser Stelle (wenn auch sicherlich nicht an allen nur denkbaren Stellen dieses Blogs) auf die Existenz des Romans hinweisen werde ;-)) Herzliche Grüße!
Deine Verwunderung, meine Freude!
Ab über die Planke mit den Skrupeltieren!
Drei Lektorinnen – welch unglaublicher Reichtum, liebe Jutta! Ich bin bisher zwei Mal in den Genuss so eines „aufmerksamen qualitätsentfaltenden“ Lektorats gekommen, wie du es beschreibst, privat und fast ein bisschen zufällig. Schade, dass die Verlage sich (auch) aus diesem Aufgabenbereich immer mehr zurückziehen! Deine Gedanken zum „letzten Wort“ teile ich unbedingt und danke für den hochinteressanten Hintergrund zu Raymond Carver und seinem Lektor, der mir bisher ganz unbekannt war. Was schließlich deinen Roman angeht: Nach offensichtlich vollzogenem Skrupel-über-Bord-Werfen merke ich mir nix vor, aber drauf freuen tue ich mich. 😉
Liebe Maren, vielen Dank – und da gibt es ja noch einen gebundenen Grund in meinem Regal, weswegen du dir gleich gar nichts vormerken müsstest, aber natürlich freue ich mich auch über jede Vorfreudebekundung – und über manche besonders 😉