Bücher über das Schreiben: Die Kunst des Erzählens (James Wood)

Eines meiner Lieblingsbücher über das Schreiben ist „eigentlich“ ein Buch über das Lesen – aber was heißt das schon? Schreiben und Lesen sind ja ohne das andere nicht zu denken und wer jetzt naseweis behauptet, das gelte nur fürs Lesen, das stets auf ein vorgängiges Schreiben angewiesen ist, der lasse sich von Roland Barthes fragen: „Wie kann es mehr Leser als Schriftsteller geben? Wie kann man beim Lesen glücklich sein, sich sogar als großer Liebhaber der Literatur verstehen und doch nie zum Schreiben übergehen? Ist es Verdrängung?“ (Die Vorbereitung des Romans). James Wood ist einer dieser großen Liebhaber, der aus seiner Leidenschaft heraus nicht Schriftsteller, sondern Literaturkritiker wurde, aber vor allem ist er ein großartiger, begeisterungsfähiger Leser, der wissen möchte: „How Fiction Works“ (so der Originaltitel).

Die deutsche Ausgabe beginnt mit ein Vorwort von Daniel Kehlmann, in dem er berichtet, wie er in New York auf dieses Buch stieß, es kaufte, die halbe Nacht darin las – und dann von vorne begann. Kehlmann führt mit sympathischer Offenheit aus, wie die Lektüre seine bis dahin gehegten Überzeugungen zu ganz unterschiedlichen Aspekten des Schreibens veränderte (dass Nabokov die Rolle des Visuellen überschätzt habe, dass ein Detail nicht entweder wichtig oder verzichtbar sei, ein Charakter „rund“ zu sein habe). Und vielleicht ist die Begeisterung Kehlmanns ein Fingerzeig, ja vielleicht ist dieses Buch tatsächlich vor allem eines für Schriftsteller:innen – und für Leser:innen die herausfinden möchten, durch genau welche Eigenschaften uns manche Texte eigentlich so begeistern.

James Wood selbst ist begeistert von Flaubert und Virginia Woolf, von Sebald wie von Updike, er kontrastiert David Foster Wallace mit Tschechov. Diese Belesenheit ist ein Geschenk – und eine Herausforderung gleichermaßen, wenn man nicht über sie verfügt. Unterteilt ist der Text einerseits in Kapitel („Flaubert und die Geburt des Flaneurs“ oder „Eine kurze Geschichte des Bewusstseins“), aber vor allem in fortlaufend nummerierte (meist) kurze Absätze, die dazu einladen, das Buch immer wieder neu und in kleineren Passagen zu lesen.

Ich habe dieses Buch in der Nähe meines Schreibtischs liegen, es verrät viel über Details und Figuren, über Stil und Rhythmus – aber dass ich gerne zwischendurch einen Blick darauf oder hineinwerfe, liegt auch daran, dass es das Kapitel „Anteilnahme und Komplexität“ enthält, dem ich dieses Zitat von George Eliot entnehme: „Der größte Gewinn, den wir dem Künstler verdanken – ob Maler, Dichter oder Romanautor -, ist die Ausdehnung unserer Anteilnahme.“

James Wood: Die Kunst des Erzählens (mit einem Vorwort von Daniel Kehlmann) rowohlt 2011

15 Kommentare

  1. James Woods (ich glaube, es gibt auch einen Schauspieler dieses Namens) – aber den Leser, Schreiber und Kritiker habe ich bisher noch nicht gelesen. Danke für die Vorstellung – ich glaube, da muss ich was nachholen!

    1. Liebe Maren, sehr gerne! Ich vermute, dass es ein Buch ist, bei dem kaum jemand mit allem etwas anfangen kann – aber es würde mich wundern, wenn der ein oder andere Gedanke nicht auf Interesse bei dir stieße.

      1. Besonders neugierig bin ich auf das Kapitel über „Anteilnahme und Komplexität“, das du erwähnt hast. Das ist es ja letzten Endes, was den Unterschied macht: Dass ein Text etwas in uns zum Klingen bringt. Herzliche Grüße!

        1. Liebe Maren, an genau dieser Fage „hänge“ ich ja (auch) immer wieder – wie sich diese Frage der „Resonanz“ zu den anderen Fragen verhält. Offenbart sich die Qualität eines Textes (nur) mir nicht, weil ich nicht über die notwendigen“Erfahrungen“ verfüge, ihn für mich gewinnbringend zu lesen – oder fehlt es dem Text an „etwas“? Ehrlicherweise nimmt die Frage auch gelegentlich die Form an: Warum kann jemand mit meinen Texten nichts anfangen, obwohl er/sie eine geübte LeserIn ist?

  2. Klingt interessant. Ich denke, dass nicht jeder Leser auch schreiben möchte. Ich möchte ja auch Auto fahren, aber nicht Mechaniker sein. Ist das vergleichbar? Ich weiß nicht. Jedenfalls kam bei mir das Schreiben vor dem Lesen, d.h. ich hatte natürlich gelesen schon, aber das Schreiben ist, wenn Du mich fragst, eine andere Ebene. Etwas anderes als ein Interesse an etwas Äußerem – meint: Buch. War das verständlich? Jedenfalls ist es bei mir, bedingt durch das Schreiben, dass ich anders lese, als ich lesen würde, würde ich nicht schreiben. So denke ich es mir zumindest. Es ist ein wenig wie mit Filmen. Man kann sich einen Film anschauen und in die Handlung fallen. Oder man sieht sich einen Film an, sieht die Handlung, geht mit, aber sieht dennoch Struktur, verwendete Mittel, Erzählweise etcpp.

    1. Liebe Wolkenbeobachterin, vielen Dank für deine Überlegungen! Bei mir ist es so, dass ich eigentlich alles, was ich mit Begeisterung anschaue, dann auch machen möchte – jedenfalls einen entsprechenden Impuls habe. Wenn ich an einer grünen Wiese vorbeikomme, auf der gekickt wird, möchte ich mitspielen und wenn ich aus dem Museum komme, möchte ich direkt losmalen (obwohl ich „eigentlich“ nie male) und wenn ich eine tolle Inszenierung sehe, möchte ich mitspielen – also insofern habe ich mich tatsächlich manchmal, so wie Barthes, gefragt: wie kann man das Lesen lieben, ohne schreiben zu wollen?
      Viele Grüße!

Ich freue mich über Kommentare!

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..