Von den Sackgassen, in die wir beim Schreiben einer Geschichte geraten – und wie wir uns daraus befreien können

Gerade wenn wir uns den Luxus gönnen und wirklich „ohne Plan“ drauflos schreiben, kann es sein, dass wir in Schwierigkeiten geraten. Manchmal sogar kaum, dass wir begonnen haben. Stellen wir uns folgendes Szenario vor:

Eine Frau sitzt an einem Küchentisch, sie schaut aus dem Fenster. Gerade hat ihr Freund die Küche verlassen, um auf die Toilette zu gehen und sobald er wieder da ist, wollen sie gemeinsam eine Freundin besuchen, die einen Stand auf dem Flohmarkt hat. Die Frau wartet und vielleicht spült sie die Teetassen ab oder geht in den Flur und zieht sich schon einmal die Schuhe an. Es dauert eine ganze Weile, bis sie bemerkt, dass ihr Freund verschwunden ist.

So ähnlich fing kürzlich der Text einer Werkstatt-Teilnehmerin an – und dann wusste sie nicht weiter. Es war ein sehr schöner Anfang, ich habe den Ton noch im Ohr und konnte die Frustration der Teilnehmerin gut verstehen, die gerne weiterschreiben wollte, aber keine Idee hatte, wie es weitergehen könnte. Sie steckte fest.

Manchmal geraten wir in solche Schwierigkeiten und es gibt nur eine einzige Lösung, die wirklich immer Rettung bietet –  alles war nur ein Traum! Leider ist es keine gute Lösung und man darf sie deswegen nur ein einziges Mal anwenden in einem langen Schriftsteller:innen-Leben – weil es ein Trick ist.

Aber was dann? Wir haben diese Frau in der Küche sitzen, wir haben sie vielleicht sogar ein paar Tage dort sitzen lassen, in der Hoffnung, dass uns beim Fahrradfahren oder Kartoffelschälen einfiele, wie es weitergehen könnte – aber nichts ist passiert.

In einem ersten Schritt könnten wir versuchen, systematisch über die Situation nachzudenken. Wo könnte der Kerl stecken, was könnte ein dramaturgisch guter Grund für Heimlichkeit sein? Ein eher schlechter Grund könnte sein, dass er einen Heiratsantrag oder anderen Liebesbeweis für seine Freundin vorbereitet und wir mit damit in Gefahr geraten eine eindimensionale Geschichte zu erzählen: Von der jungen Frau, die durch ihr Misstrauen das Glück ihrer Beziehung erst riskierte.

Vielleicht könnte der Typ drogenabhängig oder spielsüchtig sein und irgendwelche Geldeintreiber wären hinter ihm her? Das wäre denkbar, würde aber nicht gut zu dem Eindruck passen, den wir (und wichtiger: die Autorin) uns von dem jungen Paar bislang gemacht haben.

Wenn wir den jungen Mann nicht mit dieser Art von Problemen konzipieren wollen, könnte es vielleicht eine ihm nahestehende Person sein, die ihn mit diesen Abgründen verstrickt? Muss er Freund, Mutter, Bruder, oder wem auch immer zu Hilfe eilen? In diesem Bereich könnten wir vermutlich eine Lösung finden, die so schlecht nicht wäre.

Allerdings fürchte ich, dass die Werkstatt-Teilnehmerin auch mit dieser Entwicklung nicht glücklich wäre, dass es womöglich keine gute Lösung gibt: Wir können beim Schreiben in Sackgassen geraten, aus denen wir keinen vernünftigen Ausgang finden. Wenn wir also wirklich feststecken, wenn wir für die Situation, in die wir unsere Figur gebracht haben, keine Lösung finden, bleibt uns nichts anderes übrig, als die Situation zu ändern.

Vielleicht muss der Freund nicht wirklich verschwinden, vielleicht reicht es, wenn er immer wieder in eine sehr tiefe gedankliche Abwesenheit gerät. Vielleicht ist sein „Verschwinden“ schon in den ersten Zeilen des Textes aber auch dem Impuls geschuldet, dass etwas mit ihm nicht stimmt – und vielleicht kann das auch etwas ganz anderes sein.

Manchmal, wenn wir nicht weiterkommen, hilft es auch zu „springen“. Wir müssen eine Geschichte nicht chronologisch aufschreiben. Oft ist es gut, wenn wir aufschreiben, was wir „wissen“, was uns sehr klar vor Augen steht. Vielleicht sehen wir das Paar auf dem Flohmarkt und wie sie der Freundin ein paar Bücher abkaufen. Vielleicht finden wir Worte dafür, dass etwas nicht stimmt zwischen den beiden, sie sich aber bemühen, es zu überspielen. Beide wollen es nicht größer werden lassen. Es wird einen Grund geben, denkt sich die junge Frau, dass er sich manchmal seltsam verhält, dass er manchmal – ja, was könnte er anderes machen, das sie irritiert?

Wenn wir uns in einer Stadt verlaufen, gibt es immer einen Weg zurück – es fehlen uns vorübergehend nur die entsprechenden Informationen. Beim Schreiben ist es nicht so. Wenn wir schreibend in eine Sackgasse geraten, müssen wir nach dem Punkt, nach der „Abzweigung“ suchen, wo es wieder weitergehen kann. Weil dieser Punkt nirgendwo markiert ist, bleibt uns nichts anders übrig als: ausprobieren, rumspinnen, alternative Ideen entwickeln. Kurzum: so viel Bewegung wie möglich in die festgefahrene Geschichte bringen …

Und wer jetzt ein paar lose Fäden oder Ideen im Kopf hat für eine eigene, ganz andere oder auch ähnliche Geschichte: sofort Notizen machen!

Nachtrag vom 03.02.2016: Dieser Beitrag passt schön zu aktuellen Fragen, die zuletzt lebhaft hier auf dem Blog diskutiert wurden, deswegen schicke ich ihn nochmal los …

22 Kommentare

  1. Ich hatte den Beitrag gerade zur Hälfte gelesen, da kam mir die seit Wochen gesuchte Idee für die Auflösung eines Rätsels / das „endlich hat sie’s!“ und damit das Ende einer Geschichte mit ein paar Umwegen, die auch völlig planlos anfing (einzige Vorgabe war ein etwas schräger Satz, der mir plötzlich und überraschend in den Kopf gesaust war…).

    Bei der Erwähnung der Verwandten kam ich auf eine Lösungsidee: Eine verlorene/gewonnene Wette in der Vergangenheit mit dem lieben Bruder…
    Vielen Dank!

  2. Liebe Jutta,
    ich finde sobald man dieses „Stocken“ als solches bezeichnet, oder eben als Schreibblockade (oder noch ungünstiger ausgedrückt als Sackgasse – ich finde das ist nicht das Gleiche), geht das Elend los und der Druck wird in diesem Moment erst aufgebaut. Wobei Druck an sich nicht schlechtes ist, aber nicht jeder kann ihm standhalten. Ich mag es lieber dieses Stocken und die vermeintliche Blockade als einen/den kreativen Prozess zu bezeichnen. Auf diese Weise ist es doch viel mehr ein Anerkennen als ein Aberkennen der eigenen Fähigkeit.

    1. Liebe Mrs.McH,
      vielen Dank für deinen Hinweis! Ich glaube auch, dass viel zu oft von „Schreibblockaden“ die Rede ist – und diese vielleicht manchmal sogar erst dadurch entstehen, dass der Begriff so schnell im Raum steht! Andererseits kenne ich von mir und eben auch von den Teilnehmer_innen „meiner“ Werkstätten das Phänomen, das ich im Beitrag beschrieben habe: Man hat einen Anfang, vielleicht auch mehr – und kommt nicht weiter. Und manchmal liegt es eben daran, dass der Protagonist in einer „Sackgasse“ gelandet ist – allein, was die Handlungsoptionen betrifft. Mir war das früher nicht so recht klar, dass es nicht für jede Situation, in die ich eine Figur geraten lassen kann, eine gute Lösung gibt – die ich dann nur finden müsste – sondern dass man sich auch schon mal „verfahren“ kann und die Lösung dann darin besteht, zu wenden, zurückzugehen und eine andere Abzweigung zu nehmen …
      Herzliche Grüße! J.

  3. Danke für das Neuposten dieses interessanten und anstossenden Artikels liebe Jutta. Ja, ist schon alles ganz verflixt. Ich denk mir immer die Sackgasse ist in meinem Kopf und nicht in der Geschichte, aber wahrscheinlich ist da kein so grosser Unterschied. Falls ich mich dort wiederfinde, klopf ich beim nächsten Mal vielleicht einfach an eine Tür und schau wer aufmacht.

    1. Ich bin mir nicht sicher, ob das für dich zutrifft, aber ich begegne dieser Vorstellung sehr oft, dass sich aus jeder Geschichte etwas machen lassen müsste. Und in gewisser Weise stimmt das ja auch, aber eben nur, wenn man manches „zurückdreht“ oder „übermalt“ … Vielleicht muss ich da die nächsten Tage noch eine kleine Notiz zu schreiben 😉

  4. Sehr schön, vielen Dank fürs Noch-mal-posten! Ich bin auch vom Schreibtyp her der Einfach-drauf-los-Mensch und ich denke, es ist vor allem erst mal überhaupt wichtig zu wissen, dass man in einer Sackgasse steckt. Und dass es dann schlicht nichts nützt, die Lösung an den Haaren herbeiziehen zu wollen… Vielen Dank für deine Tipps, wie man stattdessen vorgehen könnte! 🙂

    1. Ich erlebe immer wieder in Werkstätten, dass Geschichten abgebrochen werden, weil es scheinbar nicht mehr weitergeht und die Zuversicht fehlt, eine Lösung finden zu können, dabei ist die oft gar nicht so weit entfernt … Freut mich, wenn der Post für dich hilfreich war!

  5. Liebe Jutta, schon das Lesen über das Schreiben von Geschichten und Sackgassen macht Spaß hier bei dir. Und an dieser Stelle gleich mal – ich lese mich gerade so quer durch deine Beiträge – ich mag deinen Geschichtengenerator und das, was dadurch erwächst, sehr sehr sehr 🙂
    Herzliche Samstagsgrüße an dich von
    Marlis

    1. Liebe Marlis, was für ein schöne, freundliche Reaktion – ich freue mich sehr darüber! Und dass der Generator offenbar geeignet ist, bei vielen Menschen eine Schreibfreude zu wecken, die sich gegen die Besorgnisse (die ja oft in der Nähe lauern, wenn es ums Schreiben geht) durchsetzen kann – das macht mich auch ganz froh … Ich grüße dich herzlich mit guten Wünschen für ein schönes Wochenende!

Ich freue mich über Kommentare!

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