Die Rede vom „Tod des Autors“ hat in den 70er Jahren und noch weit darüber hinaus für umfangreiche und die Denkkonventionen durcheinander wirbelnde Diskussionen gesorgt (und ist, einer hübschen Ironie der Geschichte folgend, nicht selten anders verstanden worden, als vom Autor Roland Barthes „gemeint“ …).
Auf den „Tod des Autors“, folgte dessen „Wiederauferstehung“ und wer die derzeitige Situation im Literaturbetrieb betrachtet, könnte auf die Idee kommen, es drohe uns eine „Verdrängung des Textes durch den Autor“. Eben nicht mehr der Text weckt das primäre Interesse, erntet Zustimmug oder Ablehnung, sondern die Person des Autors, der Autorin – insbesondere abweichende, „exotische“ Eintragungen im Lebenslauf dienen als „Verkaufs“-Argumente.
Die ZEIT nennt dieses Phänomen in einer Rezension von Joachim Zelters „Einen Blick werfen“ sehr oberstudienratstauglich „Curricularismus“. „Die Diagnose ist treffend wie eindeutig: Nach Sturm und Drang und Romantik und Expressionismus leben wir aktuell im Curricularismus.“ http://www.zeit.de/kultur/literatur/2013-08/literatur-novelle-joachim-zelter-einen-blick-werfen
Während Zelter in seiner Literaturbetriebsatire den kaum des Deutschen kundigen Angestellten einer Bücherei fröhliche Erfolge feiern lässt, macht in diesem Literaturherbst ein anderer Autor von sich reden, der einen Schritt weitergeht und sich die fehlende, „exotische“ Autorinnenidentität gleich vollständig erfindet – und mit einem eigenen Blog ausstattet: http://www.aleatorik.eu/
Ein sehr informativer Artikel von Christian Dinger über die Hintergründe von „Aléas Ich“ findet sich hier: http://www.litlog.de/ichfiktionen/
Dieser „Curricularismus“ scheint mir zum aktuellen, viele Lebensbereiche durchdringenden Trend, sich authentisch zu zeigen und das Authentische zu vermarkten, zu gehören. In deinem Post „Variationen des Biografischen“ klingt der C. bereits an. Ich frage mich, warum Autor bekannt geben, welche Teile autobiografisch sind bzw. fiktionalisiert wurden, besonders wenn es ihnen solche Scham bereitet, wie z.B. Michael Weins.
Was „das Authentische“ betrifft, stimme ich dir vollkommen zu. Zumal ja, ganz ähnlich wie bei der berühmten „Sei spontan!“-Paradoxie, die Zurschaustellung „eigentlich“ jeden Anflug von „Authentizität“ sofort unmöglich macht.
Was Michael Weins und die sehr unterschiedlichen Weisen betrifft, wie das Erlebte Eingang in den literarischen Text findet, empfinde ich die Situation als (noch) komplizierter:
Schon immer gehörte es zum literarischen Spiel, dass AutorInnen den Eindruck erweckten, sie seien identisch mit den ErzählerInnen der Texte. Oder: der jeweilige Text sei jedenfalls die „echte“ Aufzeichnung einer realen Person („Authentizitätssignale“). Gleichzeitig gab es aber, wie mir scheint, ein kulturelles Wissen, dass da, wo „Roman“ draufsteht, nicht „wahre (?) Lebensgeschichte“ drin ist. Und insofern gab es nur in Ausnahmefällen (z.B. Handke) das ständige Befragen des Autors, der Autorin danach, was denn am Text „autobiographisch“ sei.
Das hat sich, m.E. geändert und erst dadurch kommt ein Autor wie Michael Weins in die Situation, sich zu dieser Frage verhalten zu müssen. Und auch das ist ja vollkommen seltsam: Die Vorstellung nicht weniger LeserInnnen, ein Text würde quasi dadurch „beglaubigt“, würde „wahrer“, wenn er auf Erlebtem beruhe …
Herzliche Grüße! J.