Die Frau vor der Tür – wie geht es weiter?

Vor einer Woche veröffentlichte ich hier einen kleinen Text, in dem eine Schriftstellerin den seltsamen Besuch einer älteren Dame erhält. Dieser Text warf unterschiedliche Fragen auf – unter anderem danach, wie es wohl mit der Geschichte weitergehen möge. Da ich mich außerstande sah, diesen Fragen selbst nachzugehen, bat ich die Leser:innen dieses Blogs unter der Überschrift: „Geschichte in gute Hände abzugeben“ um Hilfe.

Mittlerweile sind vier herrliche und herrlich unterschiedliche Texte entstanden, die die Geschichte weitererzählen – und zumindest zum Teil neue Fragen aufwerfen …

In der Reihenfolge ihres Erscheinens:

„Da saß ich, ich Schriftstellerin, ich. Saß mit offenem Mund an meinem Eßtisch in meiner Küche, mit einem Bündel Geld in der Hand. Auf was hatte ich mich da nur eingelassen? Ein echtes Happy End erschien mir in der Realität ziemlich weit entfernt. Vor allem in Anbetracht der Scheibwerkstatt-Unterlagen, die in den sieben Taschen und Beuteln unter dem Tisch standen. Was soll’s. Ich ging neben dem Tisch auf die Knie und sah mir das an, was sie Material nannte. Dabei fiel mir dieser Karton mit den Fotos auf, den ich vorsichtig aus einem alten Kunstlederbeutel heraushob und hinauf auf den Tisch stellte …“

(Wer den Karton ansehen und Emils Version weiterlesen möchte, wird hier weitergeleitet)

Auf Arabellas Blog „Teil 2 Einfach(es) Leben“ gibt es unter dem Titel „Was wäre, wenn vor der Tür eine Frau stünde oder Gänseblümchen und der Tee daraus“ weitere Fotos, aber vor allem eine tolle Geschichte, die so beginnt:

„Die alte Frau war schon vor Stunden gegangen.
Nachdem ich das dicke Bündel Geldscheine aus der Hand gelegt hatte, sichtete ich den Inhalt der Kiste. Das war nicht eine, nicht zwei…das waren unzählige Geschichten. Eine besser als die andere. Wieso sollte ich daraus ein Happy End schreiben?
Jede der Geschichten war in sich geschlossen wie ein gut gebundener Blumenstrauß. Die Worte glitten nur so dahin, vergleichbar mit funkelnden Regentropfen, die sich auf den samtigen Blättern des Frauenmantels sammelten. Meine Fantasie spielt mir einen Streich, anders kann es nicht sein… Warum und vor allem was sollte ich hier vollenden?“ (Hier kann weitergelesen werden)

Vom Verleger meines Erzählbandes „Es wäre schön“ Axel Stiehler (Logbuch) kam dieser wunderbare Vorschlag:

„Klingt wie eine Geschichte von Paul Auster, und so sollte sie auch weiter gehen: denn die abgegebenen Zettel beschreiben natürlich das Leben einer Schriftstellerin, die bei der Arbeit durch ein Türklingeln gestört wird. Unsere Heldin steigt immer tiefer in den Sog der eigenen Story ein und will Kontakt aufnehmen, hat aber leider weder Nummer noch Namen. Und die die Frau an der Tür meldet sich natürlich nicht nach der angegebenen Zeit, sondern erst nachdem unsere Protagonistin, ausgelöst durch die Geschichte, die sich immer mehr als die eigene herausstellt, langsam aber sicher in eine Lebenskrise gerät …“

Und schließlich erreichte mich heute diese Fortsetzung des Textes von Monika Bartel aus Bremen:

Die Frau an meiner Tür

Sie ging und ich saß noch immer an meinem Küchentisch. Mit einer Handbewegung wischte ich mir über meine Augen. Kein Zweifel, ich hatte eine mündliche Zusage gemacht. Per Handschlag, bindend.
Es fühlte sich an, als hätte ich die Katze im Sack gekauft. Plötzlich kam ich mir übers Ohr gehauen vor, und schüttelte meinen Kopf.
Stand auf und ging zum Küchenschrank. Oben, im Wandschrank, standen Gläser.
Ich nahm mir ein Rotweinglas und hielt es gegen das Licht, um sicher sein, ist es klar und ohne Rückstände.
Mit einem leichten Druck stellte ich das Glas auf den Tisch und holte die Flasche, die gestern Marlene geöffnet hatte. Sie erzählte, so neben bei, wie sehr sie sich ein Kind wünschte.
Es ist ihre allerletzte Chance, ihre biologische Uhr läuft ab. Glaubt sie.
Sie, und zeigte mit dem Weinglas auf mich, wäre Schriftstellerin und da bräuchte es keine Kinder. Mein Leben sei ausgefüllt, mit meinen Bücher und meinen Texten, hörte ich Marlene, sagen.
Was für eine Blasphemie, drängte es sich in meinen Sinn.
Was weiß schon Marlene.
Ein Kind, vielleicht Kinder, mit den Gedanken hatte ich manche, schlaflose Nacht verbracht, wenn ich auf Marlene gewartet hatte.
Sie brachte mich schier zu Weißglut mit ihrer Unbedarftheit, ihrer Sorglosigkeit, ihrer Unpünktlichkeit.
Irgendwann traf Marlene, Ron. Es war, als brächte er Farbe in unser beider Leben. Das gesamte Spektrum an Farbe. Einem Regenbogen gleich, verlaufend in die nicht Sichtbarkeit des menschlichen Auges. Endlich fand ich Zeit, mich meinem Studium vollends zu widmen und mich einem interessanten Forschungsprojekt an zu schließen. Ich lächelte Marlene an und hob das Glas.
Du hast recht, es ist Zeit.
Wir saßen dicht beieinander, bis Marlene spät abends von ihrem Ehemann Ron, abgeholt wurde.
Kriege ich das hin.
Na klar, war meine Antwort.
Was habe ich mir bloß gedacht!
Ich drehe vorsichtig den Korken ab, halte ihn mir unter die Nase.
Gut, der Wein ist gut, waren meine Gedanken. Langsam füllte sich dunkles Rot ins Glas.
Rubin, wie das Feuer eines geschliffenen Rubins. Das Licht des Tages brach sich im Glas und versank im Ozean des Rots.
Beim Abstellen der Flasche, fiel mein Blick auf die losen, ausgebreiteten Geldscheine.
Mir schauderte.
Der Geruch des Geldes stieg mir in meine Nase. Geld riecht und wieder nicht.
Nicht lange und doch lange genug. An Geld haftet viel, bisweilen alles. Alles, war mein Gedanke.
Was alles hängt an diesem Geld.
Ich setzte mich.
Wie ein Plumps hörte sich es an, als mein Gesäß das Polster des Küchenstuhls erreicht.
Das Rückgrat sackte zusammen und mein Kopf hätte beinahe das Glas berührt, wenn ich mir nicht rechtszeitig Haltung geboten hätte.
Die Geschichte zu Ende schreiben.
Ihre Geschichte? Die Frau gab keine Antwort, oder doch?
Vielleicht nicht mal ihre, sondern aus ihrer Phantasie, oder beobachtete.
Wenn es ihre Lebensgeschichte ist, wie kann ich die Ihrige, mit positiven Worten beenden.
Und wenn, dann kenne ich die Person nur durch ihre Notizen. Nicht real, wie sie lebt, wie sie fühlt, denkt und handelt. Sie hat eine Aura, ohne Zweifel. Ihre Wirkung war zu spüren, im kurzen Augenblick, des Auftrags. Ist das genug, um zu kennen. Erkennen.
Ein schrecklicher Gedanke durchzuckte mich. Vier Wochen, in vier Wochen. Ist dies eine endgültige, unabwendbare Zeitspanne, die Erwartung eines sehr ernsten Geschehens. Unabwendbarkeit, das ein
Danach nicht mehr zulässt?
Ich hob mein Glas und führte es erneut zu meinem Munde. Einen Schluck, nur einen Schluck, um die Kräfte wieder in den Fluss zu bringen. Alles in mir ist ins Stocken geraten.
Nichts geht mehr. „rien ne va plus“.
In meinem geistigen Ohr höre ich das hölzerne, hohle, rotierende Klingen der Kugel im Roulette, unaufhörlich.
Die Scheine, kleine Ziehharmonika`s. Kraus, oberflächlich, geglättet. Ich sehe genauer hin. Verschiedene Währungen, aus aller Herren Länder. Gespart, zusammengesucht, vergessen, wieder neu gefunden? Ich nehme einen weiteren Schluck aus dem Glas. Der rote Rebensaft steigt mir in den Kopf.
Ich kann nicht denken. Worauf habe ich mich eingelassen.
Ich war in meine Arbeit vertieft. Meine Gedanken sind unterbrochen. Ich habe keinen Zugang zu dem, was vorher gedacht wurde. Verloren. Alles ist auf den Weg in die Unendlichkeit.
Wut steigt in mir hoch. Wut auf mich, auf meine fast zwanghafte Neugierde. Hinter alles und allem steckt eine Geschichte. Eine, die von mir entdeckt und geschrieben werden müsste. Muss!
Was, wer, zwingst mich zu sagen, was in mir ist, wenn nicht ich.
Worte sind Leben, sind Mäntel des Vergessens. Decken auf, oder zu. Wärmen, beruhigen, ermuntern, erheitern. Sie fordern, oder fördern. Weisen den Weg. Zeigen Richtungen an. Geben Kraft. Vertiefen. Festigen Vertrauen. Sind Botschafter. Phantasten oder Realisten.
Das bin ich? Ich, Botschafter meines Geistes?
Ich stand auf, ging aus der Küche, zog meine Jacke an, schloss die Tür ab und ging die Treppe hinunter.
Luft, ich brauche Luft.
Ich öffnete die Haustür und ein warmer Frühlingshauch, getränkt mit dem Duft des blühenden Flieders, untermalt vom Vergissmeinnicht, Stiefmütterchen, und dem tränenden Herz. Sanft, meine Nase berührend, mein Gesicht streichelnd.
Sekunden später fiel die Haustür ins Schloss. Ich lasse den Vormittag hinter mich, und blickte zum Straßenrand. Langsam gehe in Richtung Wasser.
Vor mir, ich brauchte nur noch ein paar Schritte, zog der Fluss seine Bahn. Eingebettet, in ein breites, von ihm gewaschene, tiefe Mulde. Ruhig und leicht gewellt, bewegte sich das Wasser, gen Norden. Er sah so friedlich aus. Ich ging den Deich hinunter und am Ufer entlang. Ein leichter Wind berührte meine Haare Meine Jacke, plusterte sich.
Dahinten, etwas zurück liegend steht eine Bank. Ich wusste es. Dorthin will ich gehen.
Mit freier Sicht auf den Fluss, geschützt gegen Blicke von Spaziergängern, verbrachte ich dort mit unter Stunden. Ich nahm Platz.
Die Ellbögen auf den Oberschenkeln liegend und mit den Händen den Kopf gesenkt, stützend.
Es geschah.
Alle Gedanken purzelten aus meinem Kopf.
Buchstaben, Worte, Sätze, Fragezeichen. Punkt, Komma, Gedankenstrich, Ausrufezeichen.
Alles lag vor mir.
Wie der Haufen Geldscheine. Unsortiert. Ich blickte verwirrt auf das Chaos.
Das Aa, und Oo, die Ww`s, Rr`s und Ff`s. Das Hh, mit dem Kk, gefolgt von dem Ll, Uu, Bb, Cc,
Es gab ein Gedränge, das ganze Alphabet wollte sich ausbreiten. Sie begannen zu tanzen.
Formierten sich zu Worten, trennten sich, türmten sich auf. Wurden eine Wortkette und wuchsen, wuchsen. Ungebremst, immer höher, immer breiter.
Gewaltig, mächtig.

Wer sich angeregt fühlt durch die ursprüngliche Geschichte, durch eine ihrer Fortsetzungen, möge gerne weiterschreiben: ins geheime Notizbuch, auf den eigenen Blog oder in eine Mail an mich zur Veröffentlichung hier (max. 5000 Zeichen). Ich fühle mich schon jetzt beschenkt – freue mich aber auch über weitere Varianten!

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