Der naseweise Hinweis, es sei immer genug Zeit zum Schreiben vorhanden, man müsse sie sich nur nehmen, zielt manchmal ins Zentrum des Problems und oft daneben. In „schreibarmen“ Zeiten versuche ich, mir zumindest kleine Schreibräume zu verschaffen – und das geht tatsächlich immer. 5 Minuten oder 10 oder vielleicht sogar 15. In der Bahn oder nach dem Aufstehen oder auf einer Bank auf dem Weg von einem Job. „Irgendetwas“ schreiben. Was ich sehe oder häufiger, was mich umtreibt. Mich erfreut, ärgert oder erstaunt. Fragen. Listen. Wenn gar nichts zu gehen scheint: Eine Liste der Worte, die mir gerade in den Sinn kommen.
Am vergangenen Samstag las ich in der FAZ im Rahmen der „Frankfurter Anthologie“ erstmals von den 5-Minuten-Notaten der Lyrikerin Elke Erb. Abgedruckt war ihr Gedicht „Ordne etwas“:
Ordne etwas
Ordne etwas, ordne den Fahrradschuppen. Er faucht. Hör.
Ein überirdischer Keller. Gehobener Stand. Sonnenbeschienen.
Was an dieser Wendung ist falsch. Erörtere.
Es wird zu heiß. Die Jacke jetzt ausziehen. Sofort.
Zwölfe machen das Dutzend voll. Benennen. Ordnen.
Daß Du hast, wie Du den Fuß hinsetzt.
Nämlich nicht wie ein Fuchs: schlicht schleicht.
Feiner Fuchs. Schleicht. Kämme dein Haar,
es richtet sich nach dir.
Unter dem Titel „Fragen an einen sitzenden Dichter“ gibt Elke Erb zunächst Auskunft über den Entstehungsprozess: „Das Gedicht ist eins von mehr als vierhundert aus meinem Buch „Sonanz“. Unter „Sonanz“ steht: 5-Minuten-Notate. Das bedeutet, es ist aus 5-Minuten-Notaten entstanden, und zwar so: Über etwa drei Jahre hin habe ich nahezu täglich ohne inhaltliche Vorgabe, nur mit dem Datum darüber, fünf Minuten lang notiert, was mir in den Sinn kam. Aus dem unterschwelligen Ich. Tun Sie das auch. Sie werden überrascht sein. Ein Wort nach dem andern, rasch hintereinander. Die Gedichtstrukturen ergaben sich von selbst.“
Und tatsächlich ist es verblüffend, in welcher Nähe das ursprüngliche „5-Minuten-Notat“, das ebenfalls abgedruckt ist, sich bereits zu dem später veröffentlichten Text befindet. In einem weiteren Schritt eröffnet Elke Erb den LeserInnen einen Zugang zu ihren Gedanken. Daraus hier nur diejenigen, die sich auf die erste Zeile des Textes beziehen:
„Fahrradschuppen“. Schuppen: ein einfacher Bau beim Haus zum Unterstellen von Geräten, Fahrzeugen. (Ich habe nicht real einen Fahrradschuppen, er ist erfunden, aber er ist ein Wort für Ähnliches derart).
„Er faucht“. Vom Optischen (dem Anblick der Unordnung) ins Akustische übertragen. „Hör“.
Ich habe das mit großem Interesse gelesen (mich manchmal auch gefragt, warum ich einen Bezug nicht lesen konnte, denn ich dann als so naheliegend empfand …) und habe eine neue Bezeichnung für das gefunden, was ich so lange schon schreibe: 5-Minuten-Notate. Und dann geschah etwas, das ich hier noch aufschreibe, weil es vielleicht dem ein oder anderen Leser, der ein oder anderen Leserin auch so gehen könnte: Durch die Lektüre motiviert, diesen kurzen Notizen mehr Raum einzuräumen, passierte zunächst: Nichts! Obwohl mich sonst nur die Aufforderung, in „Gästebücher“ zu schreiben an den Rand einer Schreibblockade zu bringen vermag, wollten sich keine Sätze, noch nicht einmal Worte einfinden.
Was war passiert? Ich hatte durch meine Begeisterung für Elke Erbs „Ordne etwas“ einen Blickwinkel eingenommmen, der nicht meiner war. Nicht sein konnte. Ich musste mich erst ein wenig schütteln. Umsehen. Meinen Blick auf die Welt, vor allem auf die Menschen finden. Und dann konnte es wieder losgehen …
Ein ausführliches Interview mit Elke Erb ist hier zu finden: http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article122399491/Es-ist-Leben-konkret-nicht-Spielerei.html
Elke Erb: „Sonanz“. 5-Minuten-Notate. Urs Engeler Edition. 2008
Das ist ein interessanter Ansatz, auch gut beschrieben. Also DOCH das Notizbuch stets bei sich tragen. Jedenfalls würde es mein Bestreben nach Kürze bestärken. Ich halte das für wichtig, um mehr Prägnanz in die Sprache zu bekommen. Oder?
Ich habe auch nicht immer ein Notizbuch dabei und kritzele oft auf lose Zettel oder in den Kalender. Das ist nicht so schön, erleichtert aber das Fortkommen 😉
Für die Prägnanz hattest du die wichtigste Voraussetzung ja kürzlich schon erwähnt: mutiges Kürzen. Wenn dann noch die Suche nach dem richtigen Wort erfolgreich ist …
Das war u.a. meine Ferienlektüre an der Ostsee, die mirgutgefallen hat, aber es war zu heiß und zu windig, um den Faden aufzunehmen…………vielleicht in der „Nachbereitung“, um intensive Eindrücke nicht versinken zu laasn im Vergessen……….Danke für diese poetische Erinnnerung, liebe Jutta!
Dorothea
Was für eine Freude, von dir zu lesen – und was für ein hübscher Zufall! Auf bald!
Das mit der Falle beim Einnehmen fremder Blickwinkel kenne ich auch. Immer wieder bin ich (oder wurde ich) angestachelt durch Anregungen anderer Autoren oder durch (eigentlich recht wertvolle) Hinweise in Anleitungen zum kreativen Schreiben und dann passiert (wie bei Dir) nichts. Mir geholfen hat (hin und wieder) eine Haltung frei nach Wittgenstein: mit Hilfe der Leiter hochklettern, sie dann aber wegstoßen und auf eigenen Pfaden weiterklettern. Klingt einfacher als es ist, das weiß ich. In jedem Fall danke ich für den Hinweis auf Elke Erb und ihre 5-Minuten-Notate. – lg Jochen
Es ist genau, wie du es beschrieben hast: aus dem Fremden muss erst noch etwas Eigenes werden. Aber dann kann es wirklich losgehen … Herzliche Grüße!
Viel zu lange nicht mehr (regelmäßig) selbst gemacht, das soll jetzt wieder anders werden… Hab Dank für den Hinweis auf Elke Erb und fürs Erinnern, liebe Jutta, ganz besonders auch daran, dass es die je eigene Art des Notats ist, die es zu entwickeln gilt. Als sehr anregenden Ideengeber habe ich zum Beispiel auch den Band „Schreiben dicht am Leben“ von Hanns-Josef Ortheil aus der Duden-Reihe „Kreatives Schreiben“ erlebt. Schönen Sonntag!
Liebe Maren, schönen Dank und sehr gerne! Und ja, „seins“ finden, das ist so wichtig – und oft aber nicht ganz einfach. Könnte ich eigentlich mal drüber schreiben 😉 Herzliche Grüße!