Es ist unmöglich, diesem Spruch zu entgehen. Kein Schreibratgeber kommt an dem apodiktischen Rat vorbei, der in der gewöhnlichen Übersetzung lautet: Zeigen, nicht erzählen! Und selbst wenn die Werkststattleiterin (aus Schaden klug geworden) darauf verzichtet, ihn zu zitieren oder gar an die Tafel zu schreiben, wird sich garantiert ein Teilnehmer, eine Teilnehmerin mit lässiger Geste darauf beziehen und ultimativ verkünden, in dem gerade gehörten Text sei doch etwas viel erzählt worden – er/sie könne das Geschilderte gar nicht „sehen“.
Die Werkstattleiterin wird in Zukunft an dieser Stelle nicht mehr nach innen fluchen oder nach außen böse Blicke verteilen, sondern sie wird aus ihrer gutsortierten Tasche einen Text ziehen, in dem sie ein für allemal und für jede/n verständlich erklärt, was es mit diesem Satz auf sich hat. (Und sie wird, während sie den Text verteilt, darauf hinweisen, dass es sich dabei ursprünglich um einen Blogeintrag gehandelt hat, der erst dank der zahlreichen Nachfragen und Anregungen seine jetzt hoffentlich überzeugende Form gefunden hat …)
Das erste (und oft schon schwer aufzuklärende) Missverständnis, wenn der „Show, don’t tell“-Rat auftaucht, lässt sich durch eine leicht modifizierte Übersetzung umgehen. Der Satz lautet dann: „Zeigen, nicht behaupten“ – denn natürlich sollen wir erzählen dürfen, wenn wir Geschichten erzählen wollen. Aber gegen welche „Behauptungen“ richtet sich der Satz denn nun überhaupt? Typischerweise gegen die Behauptung, eine Figur sei so oder so. Mutig oder ängstlich, nervös oder verzagt, cholerisch oder geizig. „Wir wollen das sehen!“, rufen also die schreibkurserprobten Teilnehmer:innen den Anfänger:innen zu und die trauen sich nicht mehr zu schreiben, „Martin regte sich auf.“ Fortan schreiben sie stattdessen Sätze wie: „Martins Gesicht verfärbte sich und nahm innerhalb weniger Sekunden eine dunkelviolette Färbung an, die jeden Kardiologen in Alarmzustand versetzt hätte.“ Oder: „Mit dem Zeigefinger der rechten Hand begann er einen immer schnelleren Rhythmus auf den Schreibtisch zu klopfen, der dem Schlagzeuger einer Rockband alle Ehre gemacht hätte“.
Eines wird hier schon deutlich: Wenn wir jede Figurenbeschreibung derart in ein Bild „übersetzen“, bekommen wir es mit zwei Problemen zu tun: aus kurzen Sätzen werden lange (was nicht grundsätzlich ein Nachteil sein muss, es hier aber oft ist) und wir geraten schnell in eine Art „Originalitätsfalle“ – denn Menschen, die nervös sind oder sich aufregen, zeigen eben in aller Regel ein begrenztes Repertoire an (sichtbaren) Verhaltensweisen und wenn wir nicht schreiben wollen, was andere schon tausendmal geschrieben haben, sind wir gezwungen, für das immer Gleiche andere Worte zu finden, was dann im Ergebnis gelegentlich bemüht, manchmal unverständlich, oft langatmig wird.
Also: Wir müssen nicht immer alles „zeigen“, wir dürfen auch ab und zu mal etwas behaupten oder „erzählen“. Ein Satz wie „Martin war unruhig“, ist nicht grundsätzlich verboten. Aber wenn Martin dieHauptfigur ist und wenn seine „Nervosität“ ein wichtiger Aspekt der Geschichte ist, weil Martin vielleicht schon sehr nervös ist, wenn er morgens aufsteht und an die Schulklasse nur denkt, vor der er in zwei Stunden stehen wird, dann sollten wir uns schon ein paar Gedanken darüber machen, wie wir das „zeigen“ könnten. Und vielleicht könnte dann die Überlegung weiterhelfen, dass es auch das innere Erleben ist, das einen Menschen, der gerade nervös ist von einem unterscheidet, in dem sich ein mächtiger Ärger aufbaut. Und weil wir, wenn wir schreiben, alles dürfen und können, könnten wir auch einen Blick in Martins Kopf werfen. Und vielleicht drängt sich in Martins Morgenritual der Gedanke an Max, einen Schüler vor dem er Angst hat, ohne es sich eingestehen zu können. Oder er beschließt, weniger Kaffee zu trinken, weil diese ganz Kaffeetrinkerei ihn so unglaublich nervös macht. Das darf ja nicht wahr sein, dass er jetzt schon zitterte, wenn er die Kaffeetasse zum Mund führte!
Die größte Schwierigkeit, bei der Anwendung dieses (wie aller anderen klugen Ratschläge) – sie gelten nicht immer und es ist oft nicht leicht zu erkennen, wie das erwünschte Ergebnis (lebendige Figuren, überraschende Wendungen, usw.) tatsächlich auch zu erreichen ist. In diesem speziellen Fall („Show, don’t tell“) gibt es eine weitere Schwierigkeit: Es vermengen sich darin die Fragen der Beschreibung (einer Figur) mit den Fragen der Struktur (eines Textes). Aber zu diesem Gegensatz von beschreibendem und szenischem Erzählen demnächst einmal mehr …
Auch so geht es: Noch nie eine diesbezügliche Werkstatt besucht und auch keinen Ratgeber gelesen, der Satz kommt doch an 🙂
Scheint wichtig zu sein – wenn ich nur nicht so blauäugig bis ignorant wäre und die Tiefe auszuloten versuchte…
Danke dennoch. Etwas kommt ja immer an. Irgendwann.
Das ist ein hübscher Treppenwitz, dass ich nun offenbar selbst dazu beitrage, Unklarheiten zu verbreiten – andererseits: ein bisschen Rätselhaftigkeit erhöht ja oft die Lesefreude 😉
Die „Show don’t Tell“ Regel ist für mich absolut inakzeptabel. Als Leser jedweden Mangel an narrativer Distanz verachtend, werde ich als Schreiber keinesfalles versuchen, diese Distanz mittels Mimesis zu verringern.
Auch das ist ja das Wunderbare am Schreiben und Lesen – dass wir so frei darin sind, „unsere“ Texte zu finden …