Ich mag Schreibanregungen, die offen lassen, ob sich ein Text eher autobiografisch oder fiktional entwickelt. Das wissen wir, wenn wir zu schreiben beginnen, ja nicht immer. Und selbst wenn wir geschrieben haben, wenn der Text fertig vor uns liegt, kann es sein, dass wir nicht so genau wissen, was dieser Text eigentlich mit uns selbst zu tun hat. Ich habe mich schon sehr oft geirrt über den „autobiographischen Gehalt“ meiner Texte. Es gibt Texte, die ich, als ich sie schrieb, für vollkommen fiktiv hielt und als ich sie Jahre später wiederfand, wusste ich nicht mehr, was ich da vor mir hatte: eine Tagebuchnotiz oder die Ich-Erzählung einer ausgedachten Figur?
„Kleine Fluchten“ ermöglicht beides: auf die Suche zu gehen nach ganz konkreten, kleinen Fluchtmöglichkeiten, die sich im ganz realen Alltag bieten (die größeren stehen ja gerade nur sehr eingeschränkt zur Verfügung) oder auch jemanden zu erfinden, die oder der sich „kleine Fluchten“ erlaubt. Oder vielleicht wird aus der kleinen Flucht unversehens eine größere? Vielleicht wird jemand entdeckt, fühlt sich ertappt und kann nicht mehr so ohne weiteres zurück?
Das Fliehen und die Flucht umgibt ja ein eher schlechtes Image. Als würde man vor Problemen weglaufen, die es eigentlich (besser) auszuhalten oder zu lösen gälte. Aber das ist nicht immer möglich und dann kann eine Flucht eine gute (vielleicht sogar die einzige) Möglichkeit sein, um einer Bedrohung zu entkommen, um sich in Sicherheit zu bringen. Auch das könnte also eine schreibende Erkundung sein: Welche positiven Bilder oder Geschichten fallen uns ein, wenn wir an Flucht denken? Welche Orte, wenn wir uns gute, sichere Fluchtorte vorstellen?
Ich freue mich auf Eure Ideen, Gedanken, Texte und wie immer ist alles erlaubt!
Ich habe im letzten Jahr eine Geschichte geschrieben, die mit einer Flucht endet. Die Geschichte ist genau so passiert (auch die vielen kleinen Details, man mag es kaum glauben), nur die „Flucht“ habe ich dazugeschrieben. Damals bin ich im Auto sitzen geblieben. In der Geschichte handelt die Erzählerin anders und jetzt fühlen sich sowohl die Erzählerin als auch ich befreit 🙂 Falls es jemand lesen mag:
https://sonick.wordpress.com/2019/07/18/reise/
Schönes Wochenende!
Sonja
Gefällt mir sehr, wie sich ganz allmählich die Atmosphäre des Unheimlichen aufbaut und es bis zum Ende offen bleibt, was da eigentlich „wirklich“ los ist. Und ja, es ist kaum zu glauben … Das einzige, das für mich noch nicht vollends geglückt ist, sind die Zeitangaben („vorgestern“), aber vielleicht kommt es mir auch nur so vor, als wenn da irgendetwas nicht ganz aufgeht …
Vielen Dank für dein Feedback, das ist sehr wertvoll! Ja, ich erinnere mich, dass ich letztes Jahr beim Schreiben mit den Zeiten bzw der Chronologie der Abläufe Schwierigkeiten hatte. Ich gucks mir nochmal an.