Christoph? Christoph!

Wahrscheinlich gäbe es elegantere Möglichkeiten, aber ich habe jetzt erstmal eine Kategorie „Christoph ist verschwunden“ eingeführt, die es hoffentlich erleichtert, den Überblick über die diversen Christophs – und ihre Aktivitäten zu behalten. Und natürlich zieht die Suche nach Christoph nicht nur in der virtuellen, sondern auch in der ganz realen „Schreibwerkstatt-Welt“ ihre Kreise – eine besonders schöne „Christoph-Version“ von Sabine Breitbach habe ich als „Nachtrag“ auf die ursprüngliche Seite gestellt und veröffentliche sie aber auch hier, weil sie mir so gut gefällt:

Frau Hansen war die erste Kundin, wie fast jeden Morgen. „Moin Christoph“, sagte sie und wollte wie immer fünf Krosse und zwei Kornknacker, ach nee doch lieber drei. „Hab garnicht mit dir gerechnet. Ich dachte, du wärst verschwunden.“

Christoph, der gerade ein Blech Brötchen in den Korb geschüttet hatte und schon wieder in die Backstube hetzte, bevor ihm die Ladung Croissants verbrennen würde, fragte nur: „Wie komm se denn da drauf?“

Zurück am Ofen dachte er dann: „Na, schön wärs. Dann müsste ich hier nicht schwitzen und mir die Finger verbrennen und Mehlsäcke schleppen.“

Der Nachbar Unger, der wie immer ein Käsebrötchen mit Käse wollte und das wie immer unerklärlicherweise komisch fand, fragte: „Was machst du denn hier? Ich dachte du wärst weg.“ Auch der Schuhmacher von gegenüber, der diesmal nur drei Flaschen Kakao nahm, wunderte sich. „Ach Christoph, doch nicht verschwunden?“

Die kannten ihn alle noch aus der Zeit, als er gerade mal so über den Tresen kucken konnte und mit dem Einmaleins mit 23 kämpfte, dem damaligen Preis für die Krossen. Viel hatte sich seitdem nicht verändert, hier gab’s immer noch reichlich Handarbeit, sein Vater wollte es so. Für die Kunden war er nur der Sohn vom Bäckermeister Tophoven. Und sie würden ihn wohl noch mit seinem Vornamen anreden, wenn er schon keine eigenen Zähne mehr hätte, mit denen er sie freundlich angrinsen konnte. Das war Order seines Vaters: ‚Und wenn se Himbeerdrops mit Senf wollen, der Kunde ist König, also immer freundlich bleiben.‘

Aber was hatten die heute bloß alle mit dem Verschwinden, als hätten sie sich abgesprochen? Immer, wenn er nur kurz durch den Laden huschte, um Brot zu bringen oder Brötchen oder die ersten Plunderteilchen, machte schon wieder jemand so eine sonderbare Bemerkung.

Die konnten sich die Bäckerei ohne ihn doch gar nicht vorstellen, aber er hatte mal ganz andere Pläne gehabt. Straßenmusik wollte er machen, Polarforscher werden, oder Postbote, oder Gärtner, irgendwas draußen, aber dann hatte er doch alles so gemacht, wie sein Vater es gewollt hatte, mit seinem Schulabschluss hatte er auch keine große Auswahl. Und jetzt drehte er Brötchen und schoss Brot in den Ofen und der Laden lief und er lief mit. Zwei seiner Kollegen in der Berufsschule hatten schon im ersten Lehrjahr einfach eine Mehlallergie bekommen, aber er hatte nicht mal den leisesten Husten.

Dann war Mittag, Feierabend, und er zog sich ein trockenes Hemd an und die Jacke und hielt sein weißes Bäckergesicht in die dünne Wintersonne. Er hatte die Wahl, endlich mal an die frische Luft zu kommen oder sich aufs Ohr zu legen. Wahrscheinlich wäre ein Nickerchen vernünftig, aber er entschied sich für eine kleine Fahrradtour, ein bisschen verschwinden dachte er und grinste grimmig.

Schon auf den ersten Metern lüftete sich das Rätsel um das ganze Gerede. Direkt vor der Ladentür, am Haltestellenhäuschen, hing ein Plakat. ‚Christoph ist verschwunden‘ stand da in riesigen Lettern, und an der nächsten Haltestelle war es das gleiche.

Christoph zählte 12 Plakate an den Haltestellenhäuschen, während er aus der Stadt fuhr und noch zwei große Plakatwände mit dem gleichen Text. Dann stieg er vom Rad und las das Kleingedruckte. Es war ein Wettbewerb, von einem dieser Privatsender. Es wurden Ideen gesucht für eine ihrer schon ewig dauernden Serien, die er nie sah. Da lag er nämlich schon längst im Bett. ‚Warum ist Christoph verschwunden? Wo ist er hin? Wird er zurückkehren?Wird er schon vermisst?‘

Christoph fuhr vorbei am botanischen Garten und am Tierheim und vorbei am Biohof Voigt und über die Bahngleise Richtung Süden und er fand sich so anwesend wie schon seit Jahren nicht mehr.

„Hallo Christoph!“, sprach er mit sich selbst. „Lange nichts von dir gehört. Wie schön, dass du wieder da bist.“ Und nach einer Pause: „Wo geht’s jetzt lang?“

„Egal“, antwortete er sich selbst, fuhr in die langgezogene Kurve gleich hinter Riede und dann mit Schwung den Hügel hinunter. „Erstmal verschwinden“ und dann kam er außer Sicht und war auch schon weg.

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