Nachtrag: Über die (subjektive) Notwendigkeit literarischer Texte …

„Mit einem Glas Wasser setzt sich Katharina auf den Balkon und versucht, nachzudenken. Es fällt ihr schwer. Es fällt ihr immer schwer, gezielt und konzentriert nachzudenken. Schreibt sie, weil sie nicht so nachdenken kann, wie andere Menschen nachdenken?“

Was für die Protagonistin meines, vermutlich im kommenden Frühjahr erscheinenden, Romans „Wiederholte Verdächtigungen“ (Arbeitstitel), eine Frage ist, ist für mich selbst schon lange eine Gewissheit: Ich kann nicht nachdenken. Nicht so, wie andere es können. Früher habe ich das gelegentlich erwähnt – aber kaum jemand nahm es ernst, im Gegenteil, es schien wie eine kokette Behauptung – angesichts meines gut gefüllten Buchregals und meiner Freude an Überlegungen, die ja irgendwie in meinen Kopf hineingekommen sein mussten.

Wie immer sie hinein gekommen waren, sie waren tatsächlich nicht auf dem Weg des Nachdenkens hineingekommen, wenn mit „Nachdenken“ ein halbwegs zielgerichteter Vorgang gemeint ist, der zumindest gelegentlich zu etwas führt, das im weitesten Sinn ein „Ergebnis“ genannt werden kann. So stelle ich mir Nachdenken vor: Man denkt so lange über etwas nach, bis man einen Schritt weiter ist. Vielleicht braucht man zahlreiche Anläufe oder man merkt, dass sich in der Nähe eine viel interessantere Frage befindet, dann beginnt man eben darüber nachzudenken, bis man einen kleinen Schritt gemacht hat.

Ich weiß, dass es Menschen gibt, die auf ungefähr diese Weise nachdenken. Ich kenne sogar einige. Und kann ihnen manchmal, wenn wir uns unterhalten, bei diesem Nachdenken zuhören. Ich kann das nicht. Ich kann einen Gedankengang verstehen, den jemand redend entwickelt, aber ich kann ihn nicht aufnehmen und weiterführen. Dafür bräuchte ich einen Stift und Papier oder eine Tastatur.

Das ist, neben ein paar pragmatischen Gründen, der Hauptgrund dafür, dass ich diesen Blog schreibe. Weil ich ständig mit Themen beschäftigt bin, die mit dem Schreiben verbunden sind – ohne dass diese Beschäftigung produktiv wird, zu einer Klärung führt, ohne dass mir auch nur kleinste Schritte gelängen –  wenn ich sie nicht aufschreibe.

Mir ist das eingefallen, als ich den Kommentar von Maren Wulf (die den wunderbaren Blog „Von Orten und Menschen“ schreibt und gestaltet) zu meinem „Kurzen Versuch …“ las und nicht wusste, was ich antworten sollte. Wie ich von der Notwendigkeit meines Schreibens erzählen könnte, ohne in eine pathetische Region zu geraten. Oder in eine angemaßte. Ich habe einen ganzen Tag versucht, darüber nachzudenken – bis mir einfiel, dass ich das ja nicht kann und anfing, diesen Text zu schreiben …

10 Kommentare

  1. Für mich macht das ebenfalls Sinn. Manches klärt sich nur schreibend. Deshalb schreibe ich ganz engen Freunden in manchen problematischen Situationen auch lieber einen Brief (zunächst), bevor das Gespräch kommt. Weil sich da die Gedanken ordnen. Ich freue mich schon auf Deinen Roman!!! Mal lesen, was Du Dir schreibend da alles erdacht hast. LG Birgit

    1. Ich freue mich auch schon sehr auf den Roman – da hat es übrigens mit dem Nachdenken auch nur sehr begrenzt geklappt, weswegen ich ihn drei großen Überarbeitungen unterziehen musste – aber das hatte auch noch andere Gründe 😉 Sehr herzlich: J.

  2. Ja, schreibend lässt es sich gut denken.Ich mag auch Denken in Form von „Bestellungen ans Unbewusste“: etwas denken, loslassen und plötzlich poppt etwas hoch, das in dieselbe Richtung führt oder auch ganz woanders hin. LG 🙂

    1. Deswegen ist es so wichtig, dass man „dran bleibt“ – weil diese „unterschwellige“ Beschäftigung mit dem Stoff, mit den offenen Fragen oft und dann scheinbar „wie von selbst“ zu Lösungen führen kann … Herzlich: J.

  3. Und was wäre, wenn das Nach-Denken ein Hinterher-Denken, ein Denken wäre, das immer zu spät dran ist? Dass da etwas zuerst ist, Bilder, Gefühle, Taten oder Ideen und die Gedanken im Nachhinein nur noch allerhöchstens taugen, eine Erklärung und Begründung nachzureichen für etwas, das man bereits vorher schon auf anderem Wege erkannt und verstanden hat. Wahrscheinlich Unsinn, aber mich reizte das Wort. Vielleicht denke ich noch einmal darüber nach.

    1. Ich gestehe, dass mir der Gedanke sehr gefällt, allein schon seiner Freundlichkeit wegen. Und er trifft sicherlich auch einen Aspekt der gar nicht so einfachen Angelegenheit. Was für mich noch hinzukommt: dass dann ja aber etwas Neues entsteht – schreibend/nachdenkend. Und dass das mit einer „Entdeckungsfreude“ verbunden sein kann: Jetzt hab ichs gefunden, jetzt bin ich der Klärung ein wenig näher gekommen;-)

  4. Liebe Jutta,
    das bringt vieles für mich auf den Punkt – als ich deinen Blog las, habe ich ihn anschließend gleich nocheinmal gelesen, um zu verstehen… in meinen Gedanken ist es so, das ich riesige Schleifen mache, mich bei der Mitteilung/Schreiben meiner Gedanken verhedere – in der Gestalt das alles Wichtige nach hinten rutscht, anschließend muss ich mich wieder neu strukturieren. Da hilft das vorbereitende Schreiben sehr… L.Gr. Anita

    1. Liebe Anita, was mir sehr gefällt, wie sich hier in den Kommentaren Gemeinsamkeiten abzeichnen – und auch Unterschiede. Und wie spannend es wird, wenn wir genauer hinsehen, die Wörter abklopfen und versuchen, genauer zu werden in der Beschreibung dessen, was in unseren Köpfen passiert … Herzliche Grüße! J.

Ich freue mich über Kommentare!

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..