Geschichten sind (fast) immer Geschichten davon, dass jemand in Schwierigkeiten steckt. Unerwartet hineingerät oder sich hinauskämpft. Gerade war noch alles gut, aber dann passierte – ja, was könnte dann passiert sein?
Thomas Melles Erzählung “Gewissen” (Raumforderungen, 2007) beginnt mit dem Satz: “Sie hielt die Porno-DVD in der Hand”. Es ist eine selbstgedrehte Porno-DVD, die der Neffe, der jeden Moment aus der Schule kommt, offenbar gefunden und sich angesehen hat. Was wird sie tun? Wie wird sie sich verhalten? Hat sie irgendeine Chance, diese Peinlichkeit zu überleben?
Manchmal ist der Stoff, aus dem unsere schlimmsten Albträume sind, eine ergiebige Fundstelle, wenn wir für einen Text auf der Suche nach “Schwierigkeiten” sind. Aber nicht nur “Peinlichkeiten aller Art” sind ein willkommener Erzählanlass. Wir können unserem Personal auch wesentlich “kleinere” Hürden in den Weg legen.
Monika Marons “Ach Glück!” beginnt damit, dass die Protagonistin einen herrenlosen Hund mit nach Hause bringt. In Raymond Carvers Kurzgeschichte “Nachbarn” entwickeln sich die (erheblichen) Schwierigkeiten eines Ehepaares aus dem Auftrag, in der Nachbarwohnung Blumen und Katze zu versorgen. Krimis erzählen von den Schwierigkeiten, den Täter zu finden oder zu überführen und in Liebesgeschichten dreht sich alles um die Frage, warum die beiden nicht zusammenkommen können?
Gerade war noch alles gut – aber was könnte dann passiert sein? Vielleicht stellen Sie sich vor, dass jemand die Tür öffnet – und wen sieht? Oder liegt da vielleicht ein Gegenstand? Und wer ist das denn überhaupt, der, oder die, die Tür öffnet? Für wen öffnet? An was für einem Ort befindet sich die Person? ist sie allein oder sind da auch andere? Und was könnte dann passieren oder sich auch nur verändern?
Wenn Sie Lust haben, schreiben Sie dazu etwas auf. Stichworte oder ganze Sätze, ganz wie Sie mögen. Beschreiben Sie die Figur oder den Ort, an dem sie sich befindet oder was dann passiert. Schreiben Sie auf, was Ihnen in den Sinn kommt (und wenn es eine andere Szene ist – umso besser!) und wenn Ihnen nichts einfällt, dann nehmen Sie den Satz mit in den Tag oder die Woche: “Eben war noch alles gut, aber dann …” und vielleicht notieren Sie sich, was Ihnen dazu einfällt.
Es geht am Anfang vor allem darum: Material zu sammeln für Geschichten – und mal etwas hin zu krizzeln. Ein bisschen lockerer zu werden. Rumzuspinnen. Überhaupt einmal irgendetwas in eines dieser teuren Notizbücher zu schreiben, die sich in unseren Schränken stapeln. Zumeist unberührt stapeln.
Und vielleicht achten Sie bei den Geschichten, die sie lesen, den Filmen, die Sie sehen, einmal darauf, von welchen Schwierigkeiten sie erzählen: Sind sie von Beginn an da? Oder entwickeln sich erst? Langsam oder abrupt? Gibt es vielleicht eine Lösung – und dann aber doch noch (neue) Hindernisse?
Beginnen Sie, sich für Geschichten zu interessieren – das ist vielleicht wichtiger, als Sie jetzt noch vermuten …
Interessant und bereichernd, sich durch deine Artikel zu lesen… Ich überlege gerade, wem ich ein Bein stellen werde…
Freut mich! Und ja, Bein stellen, ärgern – es bleibt uns manchmal nichts anderes übrig, als unseren Figuren etwas zuzumuten … Und manchmal fällt das Menschen ganz ernsthaft schwer. Und manchmal finden sie dann nach einer Weile eine große Freude daran 😉
Ich fühle mich immer sehr beschützerisch meinen Charakteren gegenüber, aber sie müssen einfach aus ihrer Komfortzone geschubst werden, damit sie an ihre Ressourcen gehen und zeigen was so alles in ihnen steckt 🙂
Also, um mir mal einem etwas schrulligen Kommentar zu erlauben: Ich würde deine Figuren (und überhaupt alle Lebewesen) sehr gerne vor dem Wort „Komfortzone“ beschützen 😉
einmal auf der Couch, kommt man so schnell nicht mehr weg 😉