Wenn wir nicht schreiben, sondern malen würden, könnten wir abends vielleicht noch reden – Eindrücke von der Sommerakademie in Bassum

imageEs gibt sie im ganzen Land: Sommerakademien, die mit unterschiedlichen künstlerischen Kursangeboten Menschen einladen, ihre kreativen Ausdrucksmöglichkeiten zu entdecken oder zu erweitern. In Bassum (in der Nähe Bremens) findet dieses Jahr zum 24. Mal eine Sommerakademie der vhs Diepholz statt, in deren Rahmen ich den Kurs „Geschichten (er)finden“ anbot.

Schon lange hatte ich den Wunsch, meine unterschiedlichen Kurs- und  Workshopangebote um eines zu erweitern, das den TeilnehmerInnen die Möglichkeit bietet, mit mehr Zeit und Ruhe an Texten zu arbeiten. Dabei sollte es in meiner Vorstellung sowohl möglich sein, bereits bestehende Texte oder Ideen dafür mitzubringen (und dafür aus der Gruppe und von mir Rückmeldungen und Anregungen zu erhalten) oder auch ganz ohne Schreiberfahrungen im kreativ-literarischen Bereich erste Geschichten zu (er)finden.

Ich habe in der Vergangenheit gute Erfahrungen mit derart „gemischten“ Kursen gemacht, was vor allem daran liegt, dass für eine angenehme, anregende Athmosphäre in einer „Schreibgruppe“ Offenheit, Neugier und Humor der TeilnehmerInnen wichtiger ist als der Umfang ihrer Schreiberfahrung. Die größere Herausforderung lag für mich in der Frage, wie es uns, wie es mir gelingen würde, die Wünsche nach „viel Zeit zum Schreiben“ einerseits und „Anregungen und Rückmeldungen erhalten“ andererseits auszubalancieren. Im Unterschied zu den Kolleginnen aus den künstlerisch-darstellenden Bereichen, die im Atelier oder Werkraum mit einem Blick oder kurzen Gespräch die entstehenden Bilder, Collagen oder Werkstücke erfassen und in ihrem Entstehungprozess begleiten können, muss bei Texten immer ein erheblich größerer Aufwand betrieben werden, damit alle erfahren, was die oder der einzelne eigentlich gerade schreibt.  Also kommt die Gruppe zusammen, alle lesen ihre Texte und die meisten sehen diesem Austausch mit einer gewissen Bangigkeit entgegen: Ist, was mich gerade beschäftigt, für andere vielleicht belanglos oder womöglich vollkommen unverständlich?

Das ist eine weitere Herausforderung von Schreibwerkstätten: Es geht schnell um sehr viel. Wir finden, wenn wir schreiben, oft einen erstaunlich mühelosen Zugang zu den Themen, die uns, vielleicht schon sehr lange „umtreiben“.  Schon beim Austausch über „fremde Texte“ kann es hoch hergehen (auch das macht ja den Reiz von Leserunden aus), wieviel mehr gilt das für das Reden über selbstverfasste Texte, über gerade eben selbstverfasste Texte?

Ich war, als ich nach Bassum anreiste,  zuversichtlich, dass es mir gelingen würde, das alles ganz gut im Blick behalten und moderieren zu können – es ist ja mein wiederkehrender Alltag in Schreibwerkstätten. Und wie war es dann tatsächlich?

Es war eine tolle Woche, die mich sehr bereichert hat. Das lag vor allem an den TeilnehmerInnen, die sich von ihren nicht gerade kleinen Bedenken und Besorgnissen nicht haben beeindrucken lassen und mutig ausprobiert haben, wohin das Schreiben sie führen kann. Was alles möglich und erlaubt ist. Die eine große Offenheit für die anderen Teilnehmer und ihre Geschichten hatten und auch großzügig nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt haben. Das lag sicherlich auch an den sehr guten äußeren Bedingungen: der idyllischen (scheinbaren) Abgeschiedenheit der Freudenburg, dem guten Essen und das gute Wetter machte auch manches leichter, ermöglichte nicht nur das Schreiben im Freien.

Am letzten Abend gab es einen Austausch mit den anderen beiden Gruppen: in einer kurzen Lesung versuchten wir, einen Eindruck von der Bandbreite der entstandenen Texte zu vermitteln (über die Entstehung des dabei vorgetragenen „Gemeinschaftstextes“ werde ich einen gesonderten Beitrag schreiben) und hatten unsererseits große Freude an der Möglichkeit, nach einer kurzen Einführung zur Vorgehensweise beim Holzschnitt von Miriam Zegrer und zu Kalligraphie und Collage von Birgit Nass, die in diesen Kursen entstandenen Werke anschauen zu können.

Vielleicht können wir im nächsten Jahr den Austausch noch ein wenig intensivieren? Und es enstehen Collagen zu in der Schreibwerkstatt entstandenen Texten? Oder die „Kalligraphen“ schreiben, falls sie dazu  Lust haben, eigene Texte? Mal sehen. Auf jeden Fall konnte ich das Zusammensein auch nutzen, um unter großem Gelächter aufzuklären, dass ich mir gelegentlich Sorge um den Eindruck gemacht hatte, den „mein“ Kurs bei den gemeinsamen Mahlzeiten vermittelte. Denn auch wenn wir beim Frühstück noch munter und kommunikationsfreudig in den Tag starteten, saßen wir beim Abendessen zuletzt doch eher schweigsam beisammen. Es war kein unangenehmes, gedrücktes oder angespanntes Schweigen. Aber es schien, als hätten wir die Worte, die wir für den Tag zu Verfügung hatten, bereits verbraucht, als wäre der Kopf so voll davon, dass er keine weiteren mehr aufnehmen könne …

15 Kommentare

          1. Ach Jutta Du bist einfach wirklich sehr sympatisch, irgendwann möchte ich Dich auch mal live treffen. 🙂

  1. was für eine Woche! Definitv ein Seminar mit Nachwirkung….die Freudenburg war wie ein in sich geschlossener Kosmos, für geistige und sonstige Nahrung war mehr als gesorgt 🙂 Ich habe die knapp 700 Kilometer Rückweg gebraucht, um wenigstens einigermaßen wieder in der anderen Matrix anzukommen. Mit im Auto war ein alter Freund, der in Bremen wohnt und seine Eltern , die in meiner Nähe wohnen, besuchen wollte. Wir haben dann, frei nach dem Geschichtengenerator ,im Stau Geschixhten erfunden zu den Insassen der Autos, die um uns herum waren. Ich muss nicht erwähnen, dass es eine äußerst kurzweilige Fahrt war…Jedenfalls bin ich immer noch so angefüllt mit all dem was ich in diesen fünf Tagen aufgesaugt habe, dass ich von diesem vollen Tank noch eine Weile zehren kann. Intensiv, teilweise anstrengend, aufwühlend, erhellend, sehr sehr inspirierend, lehrreich – all das und mehr war dieses Seminar für mich. Vielen Dank, liebe Jutta, wenn es irgendwie geht, dann bin ich nächstes Jahr wieder dabei!

  2. Liebe Jutta,
    das hört sich sehr interessant und harmonisch an. Ich bin sicher, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer deines Workshops viele Anregungen und viel Wissen mit nach Hause genommen haben.
    Liebe Grüße sendet dir Susanne

    1. Liebe Susanne, vielen Dank für deinen freundlichen Kommentar! Ich bin ja überzeugt, dass es in kreativen Prozessen oft um Klärungen geht: Was für Geschichten wollen wir erzählen? Welche üben genug Reiz auf uns aus, treiben uns genug um, um uns damit ernsthaft eine Weile zu beschäftigen, dafür wirklich Zeit zu investieren? Wo kann ich der oftmals tief verschütteten Schreibfreude begegnen? Und wenn ich es richtig sehe, haben sich für die TeilnehmerInnen mal größere, mal kleinere Fragen geklärt – und das macht mich tatsächlich wirklich froh 😉 Ich grüße dich sehr herzlich und mit guten Wünschen für den Start in die Woche!

  3. Mich hatte deine Bemerkung, ob Collagen das Schreiben vielleicht kommentieren könnten, gleich am Angelhaken. Du weißt ja, wie sehr ich es genossen habe, illustrierte Geschichten zu generieren. ….

    1. … das kann ich mir sehr gut vorstellen, liebe Gerda! Ich glaube, die Arbeiten von Birgit Naß würden dich ansprechen … Und ich bin auch über diese Überlegung und den Hinweis einer Kursteilnehmerin auf die Idee gekommen, bei einem Schulprojekt Leporellos einzusetzen – sozusagen als „Storyboards“ … Ich werde berichten. VIele herzliche Grüße nach Griechenland und alles Gute für den Computer!

  4. Noch ´mal guten Tag Jutta, nochmal am 09. des Monats August
    Ja , das war ein freundliches Seminar — eine freundliche ,sommerliche Schreibwerkstatt !!
    Ich hoffe, daß die Auslosung der V H S in einem Jahr wieder dieses schöne Seminar mir
    beschert ; vorausgesetzt, die Gesundheit bleibt mir erhalten und das Budget ist stimmig !
    Auch die Werkschau war klasse , aber die V H S hat ja auch viel Glück mit den Dozenten und
    dem Ambiente der Freudenburg – – der Trumpf sticht immer . Niedlich war ja die , wie heißt das
    noch , Heiglstunde – da stehen sie alle im Kreis und wackeln mit ihren Ärmchen … ; nun ja ,
    jetzt warte ich auf die abgetippte Gemeinschaftsarbeit (die ich noch nicht habe ) und muß mich
    ja auch noch für Dein Tagesseminar anmelden(ich hab´noch nicht ´mal den Katalog der Kurse)
    Ja, das Tagesseminar in Bassum !!
    Freundl. Grüße
    Interbahnhof

    1. Lieber Frank, ich finde auch, dass das eine sehr freundliche und schöne Werkstatt war und habe mich auch sehr wohlgefühlt. Mit den Texten, das wird wohl noch ein bisschen dauern, bis alle ihren Teil abgeliefert haben – aber wir bekommen das hin 😉

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