Mein Nachdenken über die Frau setzte mit Verzögerung ein. Zunächst bemerkte ich sie nur am Rand meines Blickfeldes im Eingangsbereich des Museums. Eine Mitarbeiterin, dachte ich. Eine leitende, vermutete ich, als ich das sehr schicke blaue Kostüm wahrnahm, oder vielleicht die Kuratorin, so deutlich wie sich die Gebrauchsspuren auf dem Heft abgezeichnet hatten, das die wesentlichen Informationen über die Ausstellung enthielt und das als „zerknüllt“ zu bezeichnen nur eine leichte Übertreibung wäre.
Aber sie war keine Mitarbeiterin. Ich begegnete ihr drei- oder viermal. Im Treppenhaus und in der Ausstellung. Sie ließ keinen Winkel, keine Video-Installation aus und verharrte zumindest vor etwa jedem dritten Exponat so lange, dass es absurd gewesen wäre, ihr Kunstinteresse anzuzweifeln. Und dennoch wuchs mit jeder Begegnung mein Gefühl, dass diese Frau hier nicht hingehörte, zumindest jetzt nicht hier hingehörte, denn es war der Vormittag des Ostersonntags und das elegant Konventionelle, das die Frau für mich ausstrahlte, verlangte, wenn schon nicht nach Geselligkeit, dann wenigstens nach Gesellschaft.
Was konnte, was mochte passiert sein im Leben dieser Frau, das sie an diesem Ostersonntag in die Weserburg, die auf einer Insel inmitten der Weser liegt, gespült hatte? War sie vielleicht in Bremen gestrandet, weil sich wichtige Vertragsverhandlungen nicht mehr hatten beenden lassen. Ein strittiger Passus in einem millionenschweren Papier, der unbedingt unmittelbar nach Ostern geklärt werden musste. So sehr mir die Idee gefiel, so unwahrscheinlich schien sie mir. Dieser Frau würden die vier freien Ostertage für eine Weltumrundung reichen, war ich mir sicher und egal, wo sie lebte – gewiss hatte sie in der Entfernung von ein, zwei Flugstunden genügend Freunde, die ihr ein Ostern, allein in der Gesellschaft von Landschaftsbildern gerne erspart hätten.
Ich hätte sie sehr gerne angesprochen, hätte sie unter einem Vorwand in ein Gespräch verwickelt, aber es ergab sich nicht. So begleitet sie mich seither in Gedanken. Ob sie noch immer in Bremen ist, vielleicht doch hier lebt? War sie verabredet? Hatte sie einen kleinen Zeitraum zu überbrücken bis sie dann wohin gehen würde? Wollte sie sich ablenken? Versuchte sie eine Aufregung, einen Ärger, eine Traurigkeit zu überwinden?
So fängt das Schreiben bei mir oft an. Mit einer Verwunderung, einem Staunen, einem Stolpern, einem Verdutztsein. Mit Fragen, die sich einnisten und nicht abschütteln lassen.
Ich freue mich über Vorschläge, Ideen, kleine Skizzen zu einer Frau in einem blauen Kostüm im Museum. Oder zu einer ganz anderen Person/Figur, die sich an einem Ort befindet, an den sie nicht zu passen scheint. Oder über Eure Erfahrungen mit dem Staunen, Stolpern und Verdutztsein …
Hm. Ich meine, die Dame ist eine Detektivin, die Kunstfälschern auf der Spur ist…aber ertappe mich dabei, dass ich hier irgendeinen Kinofilm aus dem Gedächtnisspeicher hole.
Das Staunen und Beobachten von anderen Menschen – vor allem solchen, die aus ihrer Umgebung fallen – das setzt auch bei mir oft im Kopf Phantasien frei…ich hoffe, Du erzählst noch ein wenig mehr über die Dame im Kostüm.
Liebe Birgit, die Idee gefällt mir! Detektivin. Die sich jetzt sehr zielgerichtet versucht, einen Eindruck zu verschaffen – weil sie noch neu ist in dem Bereich und bisher mit allgemeiner Wirtschaftskriminalität befasst war? Denn sie wird vermutlich nicht darauf hoffen, die Kunstfälscher an Ostern im Museum in Aktion stellen zu können, oder wie hattest du dir das gedacht 😉