Von den vielen Menschen, die ich kenne, die schreiben oder gerne schreiben würden, finden fast alle, dass es ihnen an Disziplin fehlt. „Wenn ich nur ein bisschen disziplinierter wäre“, seufzen sie und manchmal sprechen sie auch aus, was dann der Fall wäre: Sie hätten die Arbeit an dem Roman, an dem sie seit Jahren herumschreiben, beendet. Und hätten möglicherweise auch einen Verlag oder zumindest eine Veröffentlichung oder einen Text, den man guten Gewissens anderen vorzeigen kann. Was wäre alles möglich mit nur ein bisschen Disziplin, fragen Menschen, von denen ich weiß, dass sie schon einen Marathon gelaufen sind oder dass sie seit Jahren mit Beruf und Kindern und der Unterstützung alternder Eltern jonglieren. Oder die sich nach einem anstrengenden Arbeitstag für zwei Stunden in einen Raum der Volkshochschule begeben und dort konzentriert mit anderen über Figuren, Plots und Perspektiven austauschen.
Ich glaube nicht an Disziplin. Jedenfalls nicht in der Weise, in der das die meisten Menschen tun. Ich glaube nicht, dass es „Disziplinmangel“ ist, der so viele davon abhält, so oft zu schreiben, wie sie es sich eigentlich wünschen. Ich glaube, es gibt zwei Gründe, die uns das Schreiben oft schwer machen und das ist zum einen die Angst, dass uns nichts (Gutes) einfällt und zum anderen, dass wir (noch) keine Idee, keinen Text, kein Schreibprojekt gefunden haben, das uns selbst begeistert oder zumindest interessiert oder jedenfalls „in sich hineinzieht“. Denn in den „Sog“, den wir als Leser:innen gelegentlich verspüren, können wir ja auch schreibend geraten. Natürlich nicht immer und ständig und natürlich braucht es dann auch mal Ausdauer, oder meinetwegen auch Disziplin, um weiterzumachen, wenn sich die erste große Begeisterung („Auf diesen Text hat die Welt gewartet!“) allmählich auflöst.
Mein Eindruck ist, dass Menschen, die viel und/oder professionell schreiben, sehr genau wissen, dass von den vielen Einfällen, die man hat und die man vielleicht auch notiert, dass davon nur wenige in Frage kommen, um wirklich weiterverfolgt zu werden. Und dass man, wenn man so ein „Schätzchen“ gefunden hat, gut daran tut, es zu hegen und zu pflegen – und weil es ein „Schätzchen“ ist, werden auch die zwangsläufig auftretenden Zweifel und Anfeindungen uns nicht ernsthaft erschüttern können und falls wir es vermurksen, werden wir von vorne beginnen und es mit einer anderen Umgebung versuchen oder einem anderen Ton, einer anderen Perspektive usw.
Verständlicherweise sind Menschen, die mit dem Schreiben beginnen, so froh, wenn sie überhaupt eine Idee haben, dass sie sofort loslegen wollen – und es gibt auch keine vernünftige Alternative dazu. Aber wenn es dann hakt und die Lust verlorengeht, liegt es eben oft nicht an mangelnder Disziplin, sondern daran, dass die Idee nicht gut genug war – oder dass die Handlung in eine Sackgasse geraten ist (aus der es vielleicht ja sogar einen Ausweg gibt). Und nichts hält uns so so sehr vom Schreiben ab, wie die Sorge, wir könnten qualvolle Stunden vor einem leeren Blatt sitzen – oder vor einem, auf dem nichts Gescheites steht.
Ich habe mit dieser Sorge, dass mir nichts halbwegs Brauchbares einfallen wird, viele Jahre zugebracht – obwohl es mir nicht ein einziges Mal passiert war. Obwohl sich immer rasch Sätze auf dem Papier einfanden, mit denen etwas anzufangen war. Und dann war es mir zu irgendwann zu blöd und ich beschloss, mich als lernfähig zu erweisen.
Für diejenigen, die sich selbst noch nicht mit einer halbwegs gelingenden Praxis überzeugen können: Manchmal können paradoxe Interventionen helfen: Nicht länger als 90 (oder 45) Minuten und nicht öfter als einmal (zweimal) die Woche! Aber wirklich dran halten – sonst funktioniert es nicht!
Meine Erfahrung ist, dass man, wie Du auch schreibst: losgehen muss, sonst kann man nicht ankommen, d.h. einigermaßen regelmässig schreiben, wenn auch nur kurz. Es ist wie mit dem Joggen. Da sagen die Leute: Wenn du unter einer halben Stunde läufst, bringt das nichts. Ich schätze, das hat schon viele Leute vom Laufen abgehalten, sogar vom überhaupt damit anfangen. Ich denke: Auch ein paar Minuten schon sind ein Anfang und gut für den Körper und die Kondition. So sehe ich es auch beim Schreiben. Und wenn man dann mal irgendwann eine gute Idee hat, dann stehen die Chancen gut, dran zu bleiben, schätze ich. Ich übe mich auch gerade an der Realisation, d.h. Überarbeitung und Realisation einer ersten Romanidee. Mal sehen, ob und was draus wird.
Finds toll, dass Du hier aus Deinem Erfahrungsschatz berichtest. Vielen Dank und viele inspirierende Momente und Ideen Dir, liebe Grüße von der Beobachterin
Liebe Beobachterin, mir gefällt dein Vergleich mit dem Joggen sehr! Es geht erst mal darum, in eine Praxis hineinzufinden, im positiven Sinn eine „Gewohnheit“ zu entwickeln. Nicht mehr ständig zu fragen, ob man etwas macht und wann, sondern es mit einer gewissen Regelmäßigkeit zu tun. Und wenn man an und in der Praxis Freunde findet, dann kann man sich ja auch irgendwann mal mit der richtigen Atmung oder Fußstellung oder Perspektive beschäftigen – aber nicht, bevor man einmal draussen war 😉
Liebe Jutta, vielen Dank. Das Schöne beim Joggen ist, dass auch wenn man nur fünf Minuten läuft und das eine Weile, passiert es plötzlich, dass man auf einmal acht Minuten laufen kann und dann irgendwann „plötzlich“ zehn. Und am Anfang standen eben „nur“ die paar Minuten. Und das ist völlig ausreichend und in Ordnung, finde ich. Du sagst es – die „Gewohnheit“ oder anders gesagt: Regelmässigkeit ist es. Und was noch ein toller Effekt ist: Man hat angefangen, was man schon lange machen wollte. Folge: Richtig gutes Gefühl, selbst wenn es nur ein bisschen ist. So geht es mir zumindest. Ich meine mich zu erinnern, dass Du kürzlich über das 5-Gänge-Menü schriebst, das kann es anfangs gar nicht sein. Immer ein bisschen lernen. Und irgendwann fallen Dinge, die anfangs so schwer aussahen, gar nicht schwer. Weil man „reingewachsen“ ist, weil man sich (hinein-)entwickelt hat.
Beim Schreiben ist es auch so. Erst schüchtert oder klemmt und krampft jedes Wort und plötzlich beginnen sie zu laufen und rumzuhüpfen. 🙂 Du weißt, was ich meine. Wobei sich meine Worte zwischendurch auch schon mal den Knöchel verstauchen. 🙂 Liebe Grüße zu Dir. Jetzt haben die bildlichen Beispiele zu tanzen begonnen.
Liebe Beobachterin, vielen Dank für diesen schönen Kommentar – ich kann mich dem nur Wort für Wort anschließen!
Spricht mir als undiszipliniertem Wesen aus der Seele…
Na ja, du bist ja auch so eine Kandidatin – aber Marathon läufst du nicht, oder 😉
Nein, ich laufe keinen Marathon, bin sportlich auch völlig unmotiviert und undiszipliniert und dies auch bei anderen Lebensbereichen. Das Bloggen ist derzeit eine Ausnahme – aber das ist es eben, was Du beschreibst: Wenn man für etwas Feuer fängt, fängt es an zu laufen – wenn man dagegen nicht „entbrannt“ ist oder kein „Schätzchen“ im Kopf wühlt, hilft auch Disziplin alleine nicht.
Liebe Birgit, genau so ist es! Aber komischerweise denken wir oft, andere könnten das: Ausdauer aufbringen für etwas, nur weil es vernünftig ist – obwohl es ihnen keine Freude bereitet. Wie schön für uns alle, dass es bei dir das Bloggen war – möge es unbedingt dabei bleiben!
Liebe Jutta, das ist wieder mal ein ganz wunderbarer Beitrag! Nein, Disziplin allein trägt einen ganz sicher nicht durch ein längeres Schreibprojekt. Die braucht es natürlich, um allfällige Durststrecken durchzustehen, aber ohne Leidenschaft vermag auch die schönste Disziplin nichts. Ich erinnere mich, dass ich mir vor der Arbeit an meinem Buch über deutsche Auswanderer in Neuseeland drei Fragen gestellt habe: Interessiert das irgendjemanden? Warum sollte gerade ich dieses Buch schreiben? Interessiert mich selbst die Sache genug, um mich ein Jahr lang damit zu beschäftigen? Ich habe erfahren, dass man die dritte Frage und eine ehrliche Antwort darauf nicht gering schätzen sollte. Sich selbst als lernfähiges Wesen zu begreifen und regelmäßig joggen zu gehen (wahlweise zu bloggen), ist natürlich eine sinnvolle Ergänzung. 😉 Herzliche Grüße!
Liebe Maren, vielen Dank! Das sind wirklich drei ganz entscheidende Fragen! Vielleicht ist es im Sachbuchbereich ein bisschen einfacher, darauf für sich eine Antwort zu finden – aber ich glaube, dass es auch bei „Fiction“ letztlich darum geht: Finde ich an dem Projekt etwas, das mich selbst reizt, dem ich (unbedingt) nachgehen will?! Würde es deine (zeitlichen) Möglichkeiten sprengen, hier zu skizzieren, was dich mit den Auswanderern nach Neuseeland verbunden hat? Es interessiert mich seit ich denn Hinweis auf dein Buch auf deinem Blog gesehen habe … Sehr herzlich!
Oh, die (zeitlichen) Möglichkeiten schaffe ich gern, Jutta, schließlich geht es um ein Herzensprojekt! 😉 Keine Sorge, ich skizziere wirklich nur: Neuseeland und die Kiwis, wie sich die Leute dort selbst nennen, liebe ich seit einem längeren Aufenthalt während meines Sabbatjahrs um die Jahrtausendwende. Dachte (nicht zum ersten Mal) kurz selbst daran auszuwandern. (Am Ende machte ich mich stattdessen selbstständig.) Das Thema Auswandern interessiert und beschäftigt mich schon immer: der Traum, irgendwo ganz neu anzufangen… Gelingen und Scheitern, Heimat und Fremde… Am Ende geht es um Fragestellungen, die in jedem Leben eine Rolle spielen, die aber in der Person von Auswanderern besonders deutlich werden: Entscheidungen zu treffen, Ja zu einer Sache zu sagen und damit gleichzeitig zu etwas anderem Nein, Herausforderungen anzunehmen, etwas Neues zu beginnen oder eben auch nicht… Besonders stark wirkt das Brennglas, wenn das Ziel so fern ist wie Neuseeland. Das hatte ich zunächst gehofft und 2011 dann in vielen vielen Gesprächen mit deutschen und deutschsprachigen Auswanderern am anderen Ende der Welt bestätigt gefunden. Man kann sich einiges von diesen Leuten abschauen, auch wenn man selbst gar nicht vorhat auszuwandern… Last but not least fand ich es großartig, meine Leidenschaft fürs Reisen mit einer selbst gestellten Aufgabe zu verknüpfen. Das macht das Reisen noch intensiver, habe ich festgestellt. – Danke für dein Interesse und einen herzlichen Gruß! 🙂
Ich meine es vollkommen ernst und nicht als Phrase: Der Dank ist ganz auf meiner Seite! Was du schreibst, leuchtet mir unmittelbar ein – dass mit dem Auswandern etwas verbunden ist, was auch für Nicht-Auswanderer (wie mich) interessant sein könnte! Gerade kommt es mir so vor, als wenn ein kompletter Bremer Jahrgang von Abiturienten (zumindest die aus einem bestimmten Millieu) sich gerade in Neuseeland aufhält – oder auf den Weg dorthin macht. Ich finde das großartig und ein wenig seltsam zugleich 😉
Früher war es mit Glück ein Schuljahr in Amerika, heute muss es offenbar ein bisschen weiter weg sein… Dieses Misch-Gefühl aus „großartig“ und „seltsam“ leuchtet mir sofort ein, aber eine Reise wert ist NZ allemal.
Ganz unerwartet, liebe Maren, erhielt ich die Möglichkeit, dein Buch in die Hand zu nehmen, darin zu blättern – und habe mich festgelesen, obwohl ich das unbedingt vermeiden wollte! Das sind tolle, eindrucksvolle „Geschichten“, so scheinbar leichthändig und zugleich spannend geschrieben, dass es eine Freude ist! Ich habe da schon eine Idee, wie ich mich revanchieren werde können – dauert halt noch ein bisschen 😉
Wenn das keine schöne Rückmeldung ist, liebe Jutta! Ich hoffe natürlich, es ist nichts Wichtiges darüber liegen geblieben, aber dass du dich festgelesen hast, freut mich schon sehr. 🙂 Herzliche Grüße!
Für mich, nur das kann ich sagen, weil, wenn es das Schreiben betrifft, allgemeingültige Aussagen, schwer zu treffen sind, für mich funktioniert bislang ganz gut, ich schreibe allerdings auch nicht sonderlich lange Texte, das Prinzip Hefe: ich habe eine Idee im Kopf, den ich zufälligerweise ständig mit mir herumtrage. Und geht diese Idee auf, dass im Kopf kein Platz mehr für sie ist, rolle ich sie aus über ein Blatt Papier. Das geht recht schnell. Das Aufgehen der Idee dauert da schon etwas länger.
Ist der Text auf dem Papier geht es dann noch darum, ein wenig Abstand zu nehmen, die Perspektive des Lesers einzunehmen, vielleicht sogar sich selbst den Text laut vorzulesen und so hören, wo es hakt und quietscht.
Ganz wichtig ist aber, die passende Form für sich zu finden, das Genre, sich nicht die Kleider anlegen, nur weil sie einem anderen gut anstanden, den man bewunderte. Ich schreibe keine Gedichte mehr. Das wäre bei mir nur Karneval.
Das dazu
Freundlichst
Ihr Herr Hund
Lieber Herr Hund, vielen Dank für Ihren instruktiven (schon so lange warte ich auf die Gelegenheit, dieses Wort einmal zu verwenden, dass ich es gerade zur Sicherheit nochmals nachgeschlagen habe) Kommentar! Die Hefe, die gehen muss und der es dafür gut gehen muss (nicht zu warm, nicht zu kalt, nicht zu trocken, nicht zu feucht), die einerseits Ruhe benötigt und dann aber auch immer mal wieder kurze Phasen der Zuwendung (durchkneten), ist ein so schönes wie aussagekräftiges Bild für das Entstehen von Ideen. Und: „Ich schreibe keine Gedichte mehr. Das wäre nur Karneval.“ – werde ich ganz sicher mal zitieren (natürlich mit der entsprechenden Quellenangabe!). Beste Grüße!
Wunderbarer Text, bin froh, daß ich Dich gefunden habe! Eine Labsal, Deine aussergewöhnlichen Worte zu lesen! Bin eine, die ihr ganzes Leben geschrieben hat, im Kopf, und mit dem mühsam Herausgewürgten nie, nie zufrieden war. Hab vielen Dank! Ich vermute, daß ich in Zukunft öfter bei Dir zu Besuch sein werde. Ganz liebe Grüsse!
Ich habe mich über diesen Kommentar wirklich ganz besonders gefreut – weil ich überzeugt bin, dass wir kaum etwas so sehr benötigen, wie Ermutigung, wenn wir uns ans Schreiben (oder jeder andere kreative Tätigkeit) begeben. Herzliche Grüße!