Ich habe es noch gar nicht erwähnt: Die Anregungen, die ich hier gerade in den ersten Tagen unserer Virtuellen Schreibwerkstatt poste, bauen nicht aufeinander auf und es gibt überhaupt keinen Grund, sie vollständig oder gar unter Zeitdruck (bis zum nächsten Tag) zu erledigen. Das Ziel ist nicht, dass möglichst viele Menschen möglichst viele dieser Anregungen „abarbeiten“ – das Ziel ist: dass für möglichst viele ein zwei Sachen dabei sind, die bei ihnen Schreibfreude auslösen. Heute oder morgen oder in drei Monaten.
Dass ich überhaupt durch die Nummerierung der Tage den Gedanken an eine Reihenfolge nahelege, liegt daran, dass ich versuchen werde, einer groben Struktur zu folgen, die ungefähr so aussehen wird:
Anfangen: Schreibfreude (wieder)entdecken
Ein erstes kleines Schreibprojekt entwickeln
Irrtümer über das Schreiben und andere FAQs
Weiterschreiben
Resonanz, Rückmeldungen: Wer muss oder soll oder darf was lesen?
Aber nun zur Anregung des Tages: Schreiben zu Bildern. Ausgewählt habe ich von Edward Hopper Cape Cod Morning.
Wer möchte, kann sich zusätzlich von diesen Fragen inspirieren lassen: Lebt die Frau in diesem Haus oder ist sie nur zu Besuch? Ist sie gerne dort? Wonach hält sie Ausschau? Welche Gedanken gehen ihr durch den Kopf? Was macht sie als nächstes?
Und natürlich ist es bei Bildern wie bei allen anderen Anregungen auch: Alles ist erlaubt!
Ich freue mich auf Eure Eindrücke, Skizzen, Geschichten!
Hopper-Bilder eignen sich da sehr, sie erzählen immer Geschichten
Auf die Hinweise zum ersten kleinen Projekt freue ich mich schon sehr. Ich war noch nie in einem Schreibseminar ….
Ja, du hast vollkommen Recht. Bei Hopper eignen sich eigentlich alle Bilder sehr gut oder zumindest diejenigen, auf denen Menschen dargestellt sind.
Liebe Jutta, ich dachte, ich schreib auch mal was. Ich habe von den anderen erstmal nichts gelesen, um nicht alles wieder umzuschmeissen. Es hat Spaß gemacht, ist zwar nur kurz hat sich aber sehr gewandelt, bis es jetzt so geworden ist. Ich schreib ja sonst nicht.
Sei herzlich gegrüßt von Kerstin aus Berlin.
Das ist ein Bild, das von weitem betrachtet eine andere Wirkung hat als von Nahem.
Von weitem betrachtet könnte man meinen die Frau reckt sich. Vornüber gebeugt schaut sie erwartungsvoll in die Ferne als versuchte sie etwas oder jemanden zu erkennen. Sie ist allein.
Aus der Nähe betrachtet ist ihr Gesicht eher wohlwollend und ruhig. Der Stuhl auf dessen Lehnen sie sich abstützt steht eben dort und sie hat den Stuhl nur nicht zur Seite gestellt als sie ans Fenster getreten ist, um hinaus zu schauen und sich stattdessen darauf abgestüzt. So hat die Geste weder etwas Dringliches noch etwas beunruhigtes oder Ungeduldiges. Genauso verhält es sich mit der Wirkung dieser Geste zu dem was außerhalb des Hauses zu sehen ist. So schaut die Frau in eine unwirtliche Umgebung. Ein dunkler Tannenwald, das nicht gemähte, vertrocknete, lange Gras; das kühle, weiße Sonnenlicht. Alles was die Frau betrachten könnte befindet sich außerhalb des Bildes oder es gibt gar nichts zu entdecken. Es ist ein milder Wintermorgen, der Tag beginnt mit einem Blick aus dem Fenster. Gleich ist das Frühstück fertig.
Interessant: eine völlig emotionslose Bildbeschreibung.
Liebe Kerstin, was für eine schöne Überraschung, dir hier zu begegnen. Dein Text greift eine irgendwie gegensätzliche oder widersprüchliche Wirkung auf, die mich an dem Bild auch beschäftigt und die ich vielleicht nur bemerkt habe durch die Lektüre der Texte, die mittlerweile dazu entstanden sind … Ich kann es noch nicht richtig fassen. „Gleich ist das Frühstück fertig“, wäre übrigens auch ein schöner erster Satz. Liebe Grüße!
Schreiben zu Bildern – das mag ich – und so kommt hier mein kleiner Text (-beginn?), der zu dem wunderschönen Bild entstanden ist:
Sophie stand am Fenster – das mit den tiefen Flügeln – und schaute hinaus. Was für ein wundervoller Tag angebrochen war. Das Licht der Sonne schien golden über die Weizenfelder, bis es auf die hohen Eichen traf, die das Grundstück umzäunten, das vor ihr schon ihre Eltern und davor die Großeltern bewohnt hatten.
Als Kind hatte sie genau in diesen Feldern mit ihren zahlreichen Cousins und Cousinen verstecken gespielt oder im Herbst, wenn der Weizen geerntet war, Kartoffeln am Lagerfeuer geröstet. Die Eichen hatten sie zu mancher Mutprobe verführt und sie testeten, wer sich traute, am höchsten zu klettern. Später trafen sich die Pärchen am Waldrand und auch sie hatte so manchen Kuss heimlich hinter den Bäumen getauscht.
Sophie kannte keine Regeln – die, die Eltern steckte, ignorierte sie meist. Nach der Schule trödelte sie oft oder plantschte mit den anderen Dorfkindern am Weiher. Auch abends erschien sie oft erst nach Einbruch der Dämmerung auf der Schwelle des Elternhauses. Die Predigt der Eltern prallte an ihr ab und bekam sie Hausarrest, so rutschte sie am Regenrohr, das am Fenster ihres Zimmers entlang führte, herab und nahm die Beine in die Hand.
Kein Baum war ihr zu hoch, kein Fluss zu tief – das Leben war ein einziges Abenteuer.
Sophie seufzte tief und ließ ihren Blick erneut über die leuchtende Landschaft vor dem Fenster schweifen. Wo war das Mädchen von damals hin? Was war passiert, dass sie sich nun in ihrem eigenen Elternhaus wie eine Gefangene fühlte – unfähig, die Tür zu öffnen und die paar Schritte in die Freiheit zu wagen ……
Vielen Dank für diesen schönen Text, der vielleicht noch weitergeht? Wagt Sophie einen Ausbruchsversuch?
Wer weiß 😗 im Moment erstmal nicht, aber manche Dinge müssen ja reifen. . .
So ist es. Ich bin auch immer wieder überrascht, welche Ideen, Skizzen, Anfänge sich in meinem Kopf festsetzen – und welche ich wieder fallenlasse, obwohl sie mir im ersten Moment vielversprechender erschienen.
Wenn Mrs. Hopper sehen wollte, wie hübsch lila Edward den Erker angestrichen hatte, würde sie wohl nach draußen gehen müssen.
… und würde dann womöglich noch etwas ganz anderes sehen? Vielen Dank für Mitmachen!
Liebe Jutta, über die Anregung heute habe ich mich besonders gefreut. Hopper bietet so viel Inspiration für Geschichten. Vielen Dank!
Das freut mich!
Tolle Idee, mal sehen, ob mir etwas einfällt. Lieben Gruß, Ela
Das freut mich – und ich bin hier auch durchaus an Berichten interessiert, wenn es irgendwo „gehakt“ hat (manchmal habe ich noch eine Idee oder einen Tipp).
Das Angebot nehme ich gerne an:
Alles was mir einfällt finde ich kitschig oder banal oder hinkonstruiert. Es fließt nichts, es kommen keine Sätze im Sinne von Siri Hustvedt
Dass die Figur über sich spricht als Figur in einem Bild hatte ich überlegt, aber warum sollte sie das tun ausser zur Effekthascherei?
Irgendwie bremst mich auch dass es ein „erfundenes“ Bild ist und kein Foto. Mit Fotos als Inspirationsquelle habe ich schon sehr gute Erfahrungen gemacht.
Bin gespannt auf deine Einschätzung und/oder Tipps 🙂
Vielen Dank schon mal vorab und liebe Grüße, Anna
Liebe Anna, ich verwende ja gerne das Bild vom Überbrückungskabel für Schreibanregungen – und manchmal „zündet“ da einfach nichts. Könnte an einem anderen Tag, in einem anderen Rahmen, mit einem anderen (Hopper)-Bild schon wieder ganz anders sein. Es gibt (einige wenige) Anregungen, zu denen mir selbst NIE etwas einfiele und die aber in den Werkstätten gut ankommen … Also: Keine Gedanken drüber machen und stattdessen den Hinweis aufgreifen, dass du mit Fotos gute Erfahrungen gemacht hast? Ich werde es auch im Hinterkopf behalten 😉
Liebe Jutta, vielen Dank für die Inspiration. Hier ist meine Geschichte zum Bild: https://books2cats.wordpress.com/2020/03/30/tag-4-schreiben-zu-bildern/.
Liebe Grüße, Susanne
Ich bedanke mich für die schöne Geschichte!
Danke für die Anregung. Das Bild war sehr inspirierend.
Ja, ich finde es auch (selbst für Hopper-Verhältnisse) besonders anregend.
Liebe Jutta, ich habe meine Protagonistin aus dem Fenster starren lassen und in Schwierigkeiten gebracht, ganz nach deiner Anregung …
https://365tageasatzaday.wordpress.com/2020/04/01/das-leere-nest-schreiben-bei-jutta-reichelt-tag-4/
Schreiben zu Bildern ist eine faszinierende Idee, wobei ich auch eine Variante davon kenne: Schreiben zu einem Song …
Ich hatte Spaß, wie immer, aber weiß nicht so recht, was ich von meinem Ergebnis halten soll.
Liebe Grüße
Christiane 🙂
Ich habe dir gerade schon „bei dir auf dem Blog“ ein paar kurze Eindrücke zum Text notiert und dass ich ihn sehr gerne gelesen haben. Weil du die Schwierigkeiten erwähnst: Zweifellos steckt sie in Schwierigkeiten, aber die haben noch keine unmittelbaren „Handlungen“ ausgelöst. Sie denkt nach. Und oft wird es (auch in der sog. anspruchsvollen Literatur und nicht nur in irgendwelchen Genre-Texten wie Thrillern) eben erst so richtig interessant, wenn jemand aktiv wird und versucht, an seiner misslichen Situation etwas zu ändern (und es damit oft noch schlimmer macht …). Liebe Grüße auch von mir!
So nah und doch so fern, Corona trennt mich von der Ausstellung Hoper in der Fondation Beyeler in Riehen. Dessen Bilder in den 1920 Jahren entstanden und nun genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort ausgestellt werden, an einer Staatsgrenze, welche wir nicht mehr mit der gewohnten Selbstverständlichkeit passieren dürfen. Aus meinem Schlafzimmerfenster auf deutscher Seite kann ich nach Riehen in die Schweiz sehen. Ich kann sogar die Kirchenglocken der Kirche hören, welche unmittelbar neben der Ausstellung weiter die Zeit ankündigt, als wenn nichts wäre. Ich spiegle mich im Nachbarsfenster und merke, dass ich genau die gleiche Haltung habe, wie die Dame auf dem Bild in dem Erker.
Liebe sonnige Grüße Maria
Liebe Maria, vielen Dank für diesen schönen, stimmungsvollen Gruß, der so leichthändig Hoppers Bild und unserer gegenwärtige Situation miteinander verbindet – und damit auch die Grenzen, die es plötzlich wieder gibt.
Unsichtbar – in den Köpfen und politisch
Liebe Jutta, damit das Kommentarfeld nicht so voll wird, hier nur der link. Natürlich würde ich mich sehr freuen, wenn du zum Lesen vorbeikommen würdest.
https://makeachoicealice.wordpress.com/2020/04/04/schreiben-bei-jutta-reichelt-tag-4-wartezeit/
Liebe Grüße
Alice