32. KW: Von Elfchen, Haikus und der Schuld der Kalligrafen

„Was? Du kennst keine Elfchen?“ A. kann es nicht glauben. Kaum überspieltes Entsetzen liegt in ihrer Stimme. Zum Glück bin nicht ich es, der ihr ungläubiger Blick gilt. Vermutlich müsste ich sonst hart um die Wiederherstellung meiner Schreibgruppenleiterin-Autorität kämpfen. Zum Glück ist es F., der keine Elfchen kennt.“Elfchen? Nie gehört!“
Ich gestehe: Ich kenne Elfchen auch noch nicht lange. Für die, an denen der unheimliche Siegeszug der Elfchen ebenfalls bisher vorbei gegangen ist: Elfchen haben nichts mit Elfen zu tun, sondern mit der Zahl 11. Elfchen sind kleine Gedichte, die mit elf Wörtern auskommen und was die Sache noch überschaubarer macht: Diese elf Wörter werden auf fünf Zeilen aufgeteilt und zwar nach folgender Regel:

Ein Wort
Zwei Wörter
Drei Wörter
Vier Wörter
Ein Wort

Schreiben
den Stift
über das Papier
führen und ihn dabei
vergessen

Es gibt Farb-Elfchen und Jahreszeiten-Elfchen und natürlich unendlich viele andere Möglichkeiten und es gibt noch sehr viel genauere Schreibanleitungen (1. Zeile ein Adjektiv, 2. Zeile Nomen mit Artikel, 3. Zeile passender Satz aus drei Wörtern usw.) und wer es einmal ausprobiert, wird womöglich eine erstaunliche Entdeckung machen: Elfchen schreiben macht Spaß und ist ein toller Einstieg in das Dichten, das Verdichten von und Spielen mit Sprache.

Wo dem Elfchen der Sprung aus dem Deutschheft in das Schreibkladde Erwachsener gelingt, gesellt sich über kurz oder lang meist ein schon fast ehrfurchtsgebietender Verwandter aus Japan dazu: Das (oder der) Haiku. Das Haiku gilt als die kürzeste Gedichtform der Welt. Zentral sind seine Konkretheit und der Bezug auf die Gegenwart. Und ähnlich dem Elfchen scheint auch das Haiku einer immer gleichen Regel zu gehorchen:

5 Silben
7 Silben
5 Silben

Aber so umstandslos lässt sich die Idee des Haikus nicht übersetzen, wie man auf der sehr lesenswerten Wikipedia-Seite zum Haiku nachlesen kann.

In meinen Schreibwerkstätten weder normalerweise weder Elfchen noch Haikus geschrieben, bei mir geht es normalerweise sehr „prosaisch“ zu. Aber während der Sommerakademie in Bassum ist manches anders, ich habe in meinem letzten Beitrag 31. KW: Das Buch als Haus bereits darüber berichtet, wie sich durch die künstlerischen Aktivitäten anderer Kursgruppen neue Ideen und Schreibweisen ergeben – und an den Elfchen und Haikus, die in der 2. Woche geschrieben wurden, waren eindeutig die Kalligrafen „schuld“:

Die Kalligrafen, die unter der Leitung von Birgit Nass zu den Vier Elementen arbeiteten, brauchten Stoff und das bedeutet Texte, kurze Texte. Und wer kann Texte liefern, wenn nicht die Schreibgruppe? Und wie? Genau: mit Elfchen und Haikus … Und so kam es, dass mehrere Teilnehmer.innen spontan einen Vormittag lang Elfchen und Haikus und andere Kurzgedichte schrieben und dafür nicht nur mit der eigenen Freude belohnt wurden, sondern von Birgit Nass gestaltete Blätter mit nach Hause nehmen durften. Auch ich reiste derart beschenkt nach Hause.

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Einträchtig beieinander: Die Text“spenden“ der Schreibgruppe und die Annäherungen der Kalligrafinnen an die vier Elemente

Aber wenn dieser kurze Elfchen-Rausch die Ausnahme war, was für Texte wurden denn sonst geschrieben? Fast alles, was möglich ist: Autobiographische Episoden und erfundene Geschichten,  Krimianfänge und -plots, Geschichten vom Zelten und von anderen Aufbrüchen. Geschichten, die schon lange darauf warteten, erzählt zu werden und solche, die aus einem spontanen Impuls entstanden, manchmal ausgelöst von dem Text einer anderen Teilnehmer.in oder einem gegenwärtigen Erlebnis. So war es mit dem Text von Karl Wilske, der zunächst wunderbar eigensinnige, verdichtete Prosa-Miniaturen schrieb, in denen von lange Vergangenem erzählt wurde und der dann ausprobierte, ob und wie sich über eine scheinbar banale Autopanne schreiben ließ. Ich freue mich sehr über seine Erlaubnis, diesen Text hier verwenden zu dürfen:

Feierabend

Heruntersteigend  aus der wohllobenden Werkstatt des Elfenbeinturms in einem Flügel der Freudenburg, wo an Worten gefeilt wurde, man Texte polierte und Geschichten zimmerte. Und sinnigerweise Elfchen schnitzte. Noch schnell das Abendbrot mit Gurken, Wurst und Kräutertee weiter zum Parkplatz und mit Schwung, fast fliegend, durch das hochsommerliche Abendland.
Doch plötzlich wird der Schwung gebremst, der Wagen stockt und ich lenke das mögliche Hindernis von der Hauptstraße ganz in die Landschaft, wo nach einigen Kilometern dann alles aus ist. Unten angekommen in ungeschönter Wirklichkeit.
Wut steigt auf: das verreckte Ding! Der blauäugigen Fehlkauf!Das verflixte Funkloch! Vergebliche Versuche als Anhalter. Also Laufen!
Wirklich wahr ist der abgestandene Begriff von der  Backofenhitze des Asphalts. Die zähen Abstände zwischen den weitsichtbaren Wegmarken: hässlich vermurkste Gehöfte oder die scheinheiligen Kuppeln von Biogasanlagen.  Gestank nach Silage oder Gülle.
Ganz unwirklich, auf einmal ein Dammwildgehege mit den traumhaft schwebenden Tieren  über dem weißflimmernden Steppengras.
Die Hitze in der Abendsonne nimmt ab und im Osten türmt sich ein gewaltiges Wolkengebirge in Rosa.
Und weiter, freundlich begleitet von Obstbäumen der Straße: mit dicken süßen Pflaumen für die Wespen und mich. Wohl noch süßer,  aber zu hoch, die letzten Kirschen schwarzgedörrt. Von Fruchtsaft gesprenkelte Wege.
„Mit gelben Birnen hänget voll“ auch hier ein stattlicher Baum. Andere grün und noch viel voller. Auch Äpfel brauchen noch „zwei, drei südlichere Tage.“
Erstaunt bemerke ich mein leichtes Gehen.

 

Ich freue mich schon auf die Sommerakademie 2019!

12 Kommentare

  1. Liebe Jutta, völlig OT und du kannst es nach Kenntnisnahme gern löschen: Der Generator ist in der Geschichtengruppe angekommen und wurde mittlerweile von Büsra und Kübra (Zwillinge, 11) und Birgit (51) ausprobiert. Es gibt leider kein Transkript, sonst würde ich es dir mit Erlaubnis schicken. Aber die freuen sich alle sehr über das schöne Geschenk!

    Liebe Grüße, auch vom Kind

  2. Wie schön, Elfchen und Haikus nutz ich ganz viel in meinen Schreibgruppen, die sind sehr beliebt, und ich muß sagen ich mag sie auch sehr. Diese Kombi mit der Kalligrafie ist natürlich ganz wundervoll.

  3. Twistringen / Bassum , den 11.09.2018
    Liebe Jutta !
    Danke
    wiederum für
    die freundliche Mitteilung
    für die ich hier
    DANKE !!!!!

    . . . . . . . . Das war ein Elfchen

    . . . . und vergiss´bitt´nicht
    Einzelteile von der Zug
    fahrt mit zu brin gen

    . . . . . . . . .Das war ein Haiku
    Ich bin wohl am 22. 09 . dabei – ist das nicht fein . . . 🙂 🙂
    mit freundlichem Gruß
    . . . . . der Interbahnhof

    1. Lieber Frank, schön von dir zu hören und sehr schön, dass wir uns in Bassum sehen! Wenn du mich gelegentlich noch aufklären könntest, welche „Einzelteile von der Zugfahrt“ ich genau mitbringen soll? Beste Grüße!

  4. Bassum / Twistringen , den !8. 09.2018
    Liebe Jutta !
    Wenn das noch gilt und Du noch ´ne Zugfahrt vor Dir hast . . . . Ich sammel´
    Zugbegleiter – oder Fahrplanfaltblätter von Fernreisezügen [ Inter – City , Euro – City & I C Express]
    Warum gibt es eigentlich keinen Euro – City – Express . . . ?
    . . . . . fragt der Interbahnhof und grüßt freundlich 🙂 🙂

Ich freue mich über Kommentare!

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