Von schäbigen Gefühlen, der Gegenwart des Holocaust und furchteinflößenden Szenarien

Auf drei Texte möchte ich gerne hinweisen, die mich in den letzten Tagen bewegt und beschäftigt haben, denen ich viele Leser :innen wünsche und die auf sehr unterschiedliche Weise die Schrecken unserer gegenwärtigen Situation beschreiben oder sie reflektierend in größere Zusammenhänge einordnen:

In der wunderbar klarsichtigen Glosse „Schäbige Gefühle“ erinnert uns Carolin Emcke daran, dass wir nicht alles, was wir sagen dürfen auch sagen müssen und gibt damit auch denjenigen eine Argumentationshilfe, denen manchmal (so wie mir) die Worte fehlen angesichts dummdreister Parolen.

Thomas Assheuer entwirft in seinem in der ZEIT veröffentlichten Text „Unsere Willkommenskultur“ ein düsteres und erschreckendes Szenario, in dem sich rechte Protestbewegung und konservative Eliten zusammenschließen und den „Ausnahmezustand“ ausrufen. Vermutlich ist es notwendig, dieser Gefahr ins Auge zu sehen, um sie (hoffentlich) bannen zu können.

Und schließlich hat Birgit Böllinger auf ihrem Blog „Sätze und Schätze“ einen Post vom vergangenen Jahr (erweitert um eine aktuelle Vorbemerkung) veröffentlicht, in dessen Zentrum das Buch „Was hat der Holocaust mit mir zu tun“ von Harald Roth steht.

Das alles ist auf unterschiedliche Weisen eher düster und so sieht es ja auch leider in vielen Bereichen aus, wer dennoch gerne etwas Ermutigendes mitnehmen möchte, könnte vielleicht bei der „Akademie für Potentialentfaltung“ fündig werden – einer Stiftung, die der Hirnforscher Gerald Hüther mitbegründet hat und deren Motto lautet: „Wir brauchen Gemeinschaften, deren Mitglieder einander einladen, ermutigen und inspirieren, über sich hinauszuwachsen.“

Nachtrag (09.11.2015): Ich möchte gerne zwei weitere Artikel hier erwähnen. Auf einen hat mich Birgit Böllinger in unserem Austausch über diesen Post hingewiesen: Sascha Lobo schreibt hier über rechtspopulistisches Agieren im Netz und die dabei auftretenden Ähnlichkeiten mit „Trollen“. Und Caroline Fescher hat im Tagesspiegel unter der Überschrift „Die Not der anderen“ sehr lesenswert über Empathie geschrieben – und warum sie so ungleich verteilt ist.

13 Kommentare

  1. Liebe Jutta,
    danke fürs Aufgreifen und die weiteren Links – den Text von Frau Emcke werde ich später nochmals in Ruhe lesen müssen.

    ich habe heute morgen das zu meinen Erfahrungen mit dem Holocaust-Buch auf Facebook geschrieben:
    „Schon bezeichnend: Als ich dieses Buch im Januar 2014 vorstellte, gab es eher positive Reaktionen. Jetzt habe ich, aus naheliegenden Gründen, den Vorspann umgeschrieben und den Text nochmals geteilt.

    Die Reaktionen? Vor allem scheint es jetzt Aggressionen zu wecken. Da pöbelt mich ein User – bezeichnenderweise (oder soll es Satire sein? ) mit Adolf im Profilbild an, der Text sei schlecht geschrieben: „Setzen sechs!“. Der nächste fragt nach dem Antisemitismus der Flüchtlinge. Und der Dritte geht gleich gar nicht auf das Buch ein, sondern motzt sofort über das Bild zum Holocaust-Denkmal. „Ein Monster!“.

    Tja, das sind Ausschnitte aus der Gruppe „Deutsche Literatur“. Deutschland, Land der Dichter und der Denker?

    Jedenfalls, auch wenn es nicht in meiner Absicht lag, Recht zu behalten (gerne wäre ich eines besseren belehrt worden), mein aktualisierter Vorspann wurde bestätigt: Die Hemmschwellen fallen Tag für Tag – es darf wieder hemmunglos gehetzt, gepöbelt und gehatet werden.“

    Es macht mich schon fassungslos, wie offen die Hetze im Netz und insbesondere auf der Plattform Facebook ist.

    1. Das ist ein Eindruck, den ich nur bestätigen kann. Die unverblümte Äußerung von Hetzparolen und die ungeprüfte Weitergabe von „Nachrichten“ aus Quellen, die mindestens unseriös sind, hat bei Faxcebook deutlich zugenommen. Allerdings ist auch Google+ nicht frei davon: Die sog. „Angesagten Nachrichten“ und Äußerungen in etlichen Communities gehen in dieselbe Richtung. Es gelten keine Fakten und Argumente, sondern nur dumpfe Parolen. Werden diese Leute zur Vernunft kommen?

        1. Liebe Birgit, vielen Dank für den Hinweis auf diesen Text, der mir in mancher Hinsicht hilfreich erscheint. Können wir uns diese Trolle als „halbwegs glückliche“ Menschen vorstellen? Selbstbewusst und innerlich stark? Bis dahin sehe ich klar, was mir vollständig unklar ist, was darauf folgt? Wie könnte eine intelligente Art der Reaktion aussehen, die nicht ihrerseits die Spirale immer weiterdreht? In immer mehr Ländern scheinen sich zwei (meist ähnlich große) Lager gegenüber zu stehen, voller Ablehnung und Unverständnis für die andere Seite? Wie kommen wir da raus?

      1. Diese Frage treibt mich wirklich auch sehr um! Werden diese Leute zur Vernunft kommen? Und was lässt sich gegen diese ganzen üblen Verleumdungen und Gerüchte unternehmen, die ja offenbar überall gestreut werden und sich „natürlich“ in großem Tempo ausbreiten?

  2. Den Gerüchten kann man wohl nur entgegenwirken, indem man sie immer wieder revidiert. Wie man aber Menschen, die so verhärtet sind, überzeugen kann – ich weiß es nicht.
    Nur durch das Leben und die Begegnung vielleicht – ich war neulich bei einem Seminar, in dem es darum ging, wie man Flüchtlinge in kleineren Gemeinden integrieren kann. Einer der Dozenten, ein Bürgermeister, erzählte, sie hätten schon vor Jahren mal einen „Aufschrei“ im Dorf gehabt, als ein Projekt für drogenabhängige Jugendliche dort angesiedelt wurde – vor Kriminalität, Übergriffen etc. war die Rede. Erst als das einige Monate gut ging und die beiden Seiten sich aneinander gewöhnt hatten, war eine Ruhe – und in diesem Ort ist jetzt das Asylthema gar kein Thema: Die Leute werden aufgenommen. Im „Kleinen“ funktioniert es, in der alltäglichen Begegnung. Schlimm sind die, die die Ängste der Menschen jetzt nutzen für ihre rechtspopulistischen An- und Absichten. Und die erreicht man nicht, glaube ich.

    1. Was ich mich manchmal frage: Ob es bei manchen (mehr?) Angeboten im Rahmen der Hilfe/Unterstützung von Flüchtlingen möglich wäre (und wenn es möglich wäre, ob es sinnvoll wäre) sie zu öffnen für alle, die in Not sind. Die „unsere“ Unterstützung brauchen. In welcher Hinsicht auch immer. Weil sie einsam sind oder arm oder obdachlos oder in Ghettos leben oder weil ihre Eltern ihnen keine nennenswerte Unterstützung geben oder was auch immer. Ich wünsche mir, dass wir insgesamt lauter dafür kämpfen, dass Menschen respektvoll behandelt werden in diesem Land. Ich wünsche mir, dass wir der derzeitigen Situation eine „positive Wendung“ geben könnten, dass wir akzeptieren, dass es ist, wie es ist (ist ja meist eine ganz gute Idee …) und dann sehen, was können wir Positives damit anfangen, mit all den Aufbrüchen und dem Mut und dem Engagement, das doch überall zutage tritt …

  3. Manchmal wird mir ganz mulmig ob all dieser Tendenzen in diesem Land. Das Schüren von Hass und Neid, das Weiterverbreiten bewusst falscher Meldungen, nur um die breite Masse in eine gewisse Richtung zu bewegen.
    Erst heute donnerte man mir wieder einen ganz famosen Kommentar in den Blog, auf den ich gar nicht mehr antworten mag, weil ich das Gefühl nicht loswerde, all diesen bis ins Mark überzeugten und mit Vorurteilen behafteten Menschen kann man sowieso erzählen, was man will, davon kommt nichts an. Mich macht das traurig und hilflos und müde.

    1. War eben auf deinem Blog und fand dein Statement sehr kraftvoll und entschieden! Ich wünsche dir sehr, dass du dich nicht dauerhaft von deinem Engagement abbringen lässt und gleichzeitig kann ich sehr gut nachvollziehen, wieviel Energie ständiges „Aufklären“ kostet … Ich grüße dich sehr herzlich!

      1. Ich danke dir.
        Natürlich werde ich nicht aufhören, meine Stimme gegen diese merkwürdigen Tendenzen zu erheben. Die vielen Erzählungen meines Urgroßvaters haben bei mir Spuren hinterlassen. Er hat zwei Weltkriege er- und überlebt, er war in Gefangenschaft und hat einen Sohn verloren … Mir war von Kindesbeinen an klar, dass ich mich immer gegen dieses spezielle Gedankengut positionieren werde. Kann kommen was will.
        Genieße den Restsonntag noch.

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