Besondere Bücher: Ein Haus mit vielen Zimmern (edition fünf)

Band_22_Anthologie_U1_160x240Die edition fünf ist mehr Projekt als Verlag: Seit 2010 erscheinen in jedem Herbst fünf hochwertig gestaltete Bücher von Frauen. Bücher, die nicht mehr lieferbar sind oder nicht die Aufmerksamkeit erhalten haben, die sie verdienten. Von deutschen Autorinnen oder in deutschen Übersetzungen. In diesem Herbst ist einer der fünf Titel die Anthologie „Ein Haus mit vielen Zimmern – Autorinnen erzählen vom Schreiben“.

Mehr noch als das schön gestaltete Buch beeindruckt die illustre wie vielfältige Zusammensetzung der Autorinnen und der sich daraus ergebende Variantenreichtum der Tonlagen, Interessen und Perspektiven: Nora Gomringer (mit fünf über den Band verstreuten Gedichten, darunter auch das wunderbare und wunderbar passende „Ich werde etwas mit der Sprache machen“), Antje Rávic Strubel (mit meinem Lieblingsbeitrag „Mädchen in Betriebnahme“), Judith Schalansky (mit dem sehr informativen „Wie ich Bücher mache“) und Annette Pehnt (mit dem klugen, leider nur zwei Seiten umfassenden, Essay „Am Ende“, der tatsächlich von den Schwierigkeiten erzählt, ein Ende zu finden) vertreten die deutschen (Gegenwarts)-Autorinnen. Aber es gibt auch Beiträge von Siri Hustvedt (die in ihrem sehr lesenswerten Text „Being a Man“ unter anderem davon erzählt, dass sie in ihren Träumen manchmal ein Mann ist und wie  ihre drei Schwestern und sie männliche und weibliche Rollen untereinander aufgeteilt haben – und welche Faktoren dabei eine Rolle gespielt haben).

Ebenfalls in dieser Anthologie vertreten sind Tania Blixen („Die leere Seite“), Ali Smith („Wahre Kurzgeschichte“), Margret Atwood („Blaubarts Ei“), Clarice Lispector („Fünf Erzählungen und ein Thema“), Sylvia Plath (Ein Vergleich“), Virginia Woolf („Berufe für Frauen“), Tove Jansson („Die Hauptrolle“), Janet Frame („Ich liebe die Grillen nicht“) und Anna Seghers („Der Ausflug der toten Mädchen“). Während ich gewöhnlich bei der Lektüre von Anthologien mit dem ein oder anderen Beitrag wenig anfangen kann und das einem positiven Gesamteindruck nicht entgegenstehen muss, war es hier umgekehrt: Ich habe alle Beiträge gerne gelesen und als anregend empfunden und war doch ein wenig enttäuscht, denn der Untertitel „Autorinnen erzählen vom Schreiben“ hatte in mir die nicht vollständig eingelöste Erwartung geweckt, dass die Beiträge das Schreiben selbst, die Bedingungen weiblicher Autorschaft, zum Gegenstand hätten. Das ist bei den meisten Texten auch der Fall, aber es befinden sich in dieser Anthologie ebenfalls Texte, die mit dem Schreiben weniger oder gar nichts zu tun haben, wie „Die Hauptrolle“ von Tove Jansson – der mir „als Text“ durchaus sehr gefallen hat, weswegen mir die Kritik an seiner Berücksichtigung für diesen Band ein wenig pingelig vorkommt.

Ohne jede Pingeligkeit habe ich allerdings das Vorwort als uninspiriert empfunden, das mit dem Karl-Valentin Spruch „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ beginnt (hätte es nicht ein inhaltlich passenderes, weniger oft zitiertes gegeben – und vielleicht auch eins von einer Frau?) und sich auch danach als erstaunlich unerschrocken gegenüber der Verwendung von Geschlechterrollen-Klischees zeigt („Bei Ali Smith und Nora Gomringer hingegen schimmert jede Menge Liebe durch: in der Art, wie sie Klarsicht, Zuspitzung, Spiel genießen und darin wie viel Herz sie für ihre Themen beweisen.“) Vielleicht ist das auf eine paradox-parodierende Art ein gutes Zeichen für irgendetwas – aber das habe ich dann (noch) nicht verstanden.

Ich wünsche mir, dass dieses schön gestaltete Buch mit so vielen klugen, humorvollen, erzählerisch und ästhetisch gelungenen Beiträgen viele Leser:innen findet – und damit wirklich niemand auf die Idee kommt, dass die von mir erwähnten „Flüchtigkeitsfehler“ diese ganz wunderbare Anthologie insgesamt beschädigen, beende ich die Buchvorstellung mit einem Zitat aus Antje Rávic Strubels „Mädchen in Betriebnahme. Ein Abgesang in drei Aufzügen“:

„Ich habe sogar Interviews. (…) Und man weiß ja, wie unernst so eine kuschelige Sitzgelegenheit heute gemeint ist und dass keiner ein Kompliment ohne Ironie mehr macht. Deshalb darf man so ein Kompliment auch nicht zurückweisen, wo sich der Redakteur doch seit neunzehnhundertachtundsechzig solche Mühe mit der Ironie gegeben hat. Denn der Redakteur sagt sich, wenn man so viel ironischen Aufwand wegen eines Mädchens betreibt, wo man doch gar kein ironischer Mensch ist, und es erkennt seine Mühe gar nicht an, hat man das Recht, gekränkt zu sein. Und beim nächsten Mal lässt er dann nicht nur die Ironie, sondern auch das Mädchen in der ja sonst wie am Schnürchen laufenden kernigen Diskussion einfach weg.“

4 Kommentare

  1. Liebe Jutta, heute hat der Buchhändler meines Vertrauens schon zu, aber morgen ruf ich ihn gleich als Erstes an und bestell das Haus mit den vielen Zimmern. Don’t worry: Es wird nach der Lektüre deiner wunderbar be-herzten Vorstellung niemand auf die Idee kommen, dass dieses Buch nicht ganz und gar empfehlenswert sei. 😉

    1. Liebe Maren, das freut mich nun gleich doppelt: 1. sowieso und 2. weil es sich bei der „edition fünf“ um ein recht (hamburg)hanseatisches Projekt handelt, was ich mal wieder mit herzlichen Grüßen aus Bremen neidlos anerkennen muss …

  2. Liebe Jutta,
    meine Freude ist riesengroß über diesen Hinweis.
    “ Ein Haus mit vielen Zimmern“.
    Das Leben ist voller Überraschungen. Ein tolles Mitbringsel.
    Lieben Gruß

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