28. KW: Was tut sie da? Über Schwierigkeiten des autobiographischen Schreibens

Das kann doch nicht so schwer sein, denken viele Menschen, die über sich selbst, über ihr Leben schreiben wollen: Es ist ja alles schon da! Ich muss es „nur noch“ aufschreiben … Wenn es dann doch nicht so leicht geht, weder auf Anhieb noch nach längerem Nachdenken und Rumprobieren, dann scheint es für viele nur eine mögliche Erklärung zu geben: Sie können nicht schreiben!

Deswegen habe ich mich gefreut, als ich kürzlich auf das folgende Zitat stieß (und habe es zur Steigerung der Nachsicht schon mehrfach vorgelesen): „Die Aufgabe privateste Erlebnisse zu beschreiben, kann man damit vergleichen, dass man tief in einen Brunnen greift, um mit dicken Lederfäustlingen winzige und zerbrechliche Kristallfiguren daraus hervorzuholen“ (Jerome Kagan). Über sich selbst zu schreiben ist voraussetzungsvoll und es ist eher die Regel als die Ausnahme, dass man dabei in Schwierigkeiten gerät – wenn man überhaupt so weit kommt …

Ich glaube, eine der Schwierigkeiten liegt darin, dass es uns schwer fällt, auf uns selbst wie auf eine Figur zu blicken – aus einer gewissen Distanz. Wenn wir eine Geschichte, vielleicht einen Roman erfinden, beschäftigen wir uns selbstverständlich mit Fragen wie: was will die Figur, was ist ihr wirklich wichtig, in welche Schwierigkeiten oder Konflikte gerät sie? Was macht sie, um ihr Ziel zu erreichen? Wir setzen Wendepunkte und bestimmen Schlüsselszenen. Aber wer schaut so auf sein eigenes Leben?

Um diesen anderen Blick aufs eigene Leben zu erleichtern, habe ich daher zuletzt Teilnehmer,innen meiner Workshops aufgefordert, einmal aus einer solch großen Distanz auf sich zu schauen und zu fragen: Was tut sie (er) da? Mit einem staunenden Blick eine Episode, eine Begebenheit des eigenen Lebens herauszugreifen und zu schildern, als handele es sich um eine ganz fremde Person, (also auch in der 3. Person zu schreiben). Ich war selbst überrascht, wie gut das geklappt hat, wie sehr diejenigen, die es ausprobiert haben, belohnt wurden.

„Was tut sie da?“ ist ein zudem ein schönes Beispiel dafür, dass ich viele meiner Schreibanregungen aus der eigenen Schreibpraxis gewinne: „Was tut sie da?“ ist zugleich die Überschrift eines Kapitels des Textes, an dem ich gerade arbeite. Es ist ein Text, der (auch) von den diversen Schwierigkeiten autobiographischen Erzählens handelt. Eine liegt drin, nicht die Frage beantworten zu können, warum man getan hat, was man getan hat, oder sich eben zu fragen: Was tut sie da?

5 Kommentare

  1. Du triffst mit der Feststellung, dass es für einen selbst schwer ist zu erkennen, warum man etwas tut oder unterlässt, den Nagel auf den Kopf. Bei Fiktionen wird es der Leser merkwürdig finden, wenn der Autor keine stringente Beziehung zwischen Handelndem und Handlung herstellt. Der Leser verlangt vom Autor, dass Handlungsverlauf und Charaktere zu einander passen. Im wirklichen Leben aber fehlt diese Stringenz. Wir wissen grad in den wichtigen Lebensfragen oft nicht, warum wir was tun oder unterlassen. „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“, heißt es in der Bibel. Und wer erkennt sich schon gern selbst anhand seines Tuns? Wir haben eine gewisse Idealvorstellung von uns , und unser Leben will irgendwie nicht dazu passen. Was tun? Sich selbst anklagen oder Rechtfertigungen suchen (Kindheit, die anderen, die Umstände) . Brecht sagt das so: «Ein guter Mensch sein, ja wer wärs nicht gern, sein Brot den Armen geben, warum nicht…. Doch die Verhältnisse, gestatten sie’s? ….“

    1. Liebe Gerda, vielen Dank für diesen Kommentar! Seit ich ihn las, denke ich immer mal wieder darüber nach. Zuerst fiel mir eine Untersuchung ein, nach der die meisten Menschen dazu neigen, bei eigenem Fehlverhalten die Umstände und bei dem anderer die Persönlichkeit des Betreffenden für die Ursache zu halten. Ich kenne das auch, bei mir, bei anderen. Aber dann fiel mir eine andere Beobachtung ein, die ich schon sehr oft in Werkstätten gemacht habe: wie schwer es sehr vielen fällt, auch einmal angemessen positiv über sich und ihr Leben zu berichten, wie schnell die Sorge auftaucht, sich zu wichtig zu nehmen, anzugeben usw. Und ich habe das zum Anlass genommen, „Geschichten des Gelingens“ zu sammeln. Eine sehr große Herausforderung für fast alle, aber die Mühe wert … Ich wünsche dir einen schönen Sonntag und grüße herzlich!

  2. Bassum / Twistringen , den 24.07.2018
    Liebe Jutta !
    Leider habe ich von Dir keine Antwort erhalten , wann die freundliche Abendvorlesvorstellung ist
    und spekuliere auf den zweiten August , wo ich mich dann gegen 18.00 Uhr in der Freudenburg
    einfinden werde , um zumindestens ein Stückchen Sommerakademie zu bekommen . . . . .
    Denn zu Mehr wird es auch in Zukunft durch den Weggang Witte / Treptow nicht mehr reichen –
    von den finanziellen Möglichkeiten ´mal ganz zu schweigen 😦 😦 !!
    Ja , zum autobiographischen Schreiben ; Das ist wie investigativer Journalismus !!
    Gesellschaftsaufklärung zu Lasten der Gesellschaft , um dieselbe vor den Kopf zu stoßen , damit
    dieselbe Gesellschaft sieht , wie sie das Individuum zugerichtet bzw. zugrundegerichtet hat !
    Und dann fängt´s an , Spaß zu machen – aber auch viel Arbeit , denn die Gesellschaft möchte gerne alles immer wieder vertuschen .
    Trietzen , bis zum äußersten ……..
    Auf diesen Elektrobrief brauchst Du allsbald nicht zu reagieren , da ich nicht weis , wann ich wieder in das Elektrobriefpostfach schaue . Das kann durchaus noch 14 Tage dauern .
    Ich bring´übrigens am besagten Donnerstag den Text mit , den ich in Deiner nächsten Schreib
    werkstattstextsammlung veröffentlichen lassen wollte – Du weißt schon , den Text mit dem D 301
    Transitzonaler Nachtschnellzug 🙂 !
    In diesem Sinne . . . . freundliche Grüße & auf Bald wünscht verbleibend der Interbahnhof
    Frank 🙂 😉

    1. Lieber Frank, was für ein schöner Zufall, da haben wir uns gerade zeitgleich geschrieben: ja genau, es ist der 2. August, vielleicht bist du ja gerade noch online und erhältst die Nachricht ….

  3. Liebe Jutta !
    Ich lach´mich scheckig ! Das sollte wohl so sein , daß ich doch nochmal [ intuitiv ] nachgeschaut
    habe , weil hier kurzfristig der Plan , der dafür bekannt ist , nicht eingehalten zu werden , auch ge
    ändert wurde und da dachte ich ; bei dem zeitlichen Leerlauf schau´ich noch ´mal ´nach und siehe
    da 🙂 😉 : Jetzt weiß ich Bescheid und freue mich auf den Donnerstag , den 02. August 😉
    Wir sehen uns dann , freu´mich drauf – bis dahin verbleibt der Interbahnhof . . . .

Ich freue mich über Kommentare!

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