Ist EIN STÜCK VON MIR noch ein Stück von mir?

Es nimmt kein gutes Ende mit dem Autor. Zu Beginn von ausgedachten, aber nie fertig gestellten Figuren umworben und als Retter gefeiert, wird er am Ende selbst zur unglücklichen Figur. Aber eigentlich geht es gar nicht so sehr um den Autor, es geht um die angefangenen Figuren: Eine hat nur ein Winken, eine andere weiß, dass ihr ein großes Abenteuer bevorsteht – irgendwann. Jeder fehlt etwas, um in eine Geschichte zu gelangen. Wenn sie doch nur einen Autor, eine Autorin für sich gewinnen könnten …

Die Autorin, die ich bin, sollte jetzt erstmal erzählen, wovon hier eigentlich die Rede ist: In den vergangenen Monaten habe ich im Rahmen eines Jugendclubs am Bonner Theater ein Stück mitentwickelt und geschrieben. Es heißt EIN STÜCK VON MIR und hat am 08. Juni 2017 in der Oper Bonn Premiere. (Und für die küchenpsycholgisch ambitionierten Leser.innen: der Titel war nicht meine Idee …)

Am ersten Schreibwochenende im Januar, das eigentlich „nur“ zum Warmschreiben und Kennenlernen gedacht war, standen sie plötzlich auf der Bühne – von den Jugendlichen innerhalb weniger Stunden ausgedachte Figuren, die uns alle in ihren Bann zogen. Unmöglich, sie wieder in die Versenkung zu schicken. Aber was mit ihnen anfangen? Wie könnten sie – alle miteinander – in eine Geschichte finden? Was könnte die verbindende Klammer sein?

Normalerweise wäre ich wohl nicht auf die Idee gekommen, für einen Jugendclub das Motiv der herumvagabundierenden Figuren aus Pirandellos „Sechs Personen suchen einen Autor“ aufzunehmen, aber in diesem konkreten Fall schien sie mir wie ein Geschenk. Die Fragen der Figuren (Was fehlt mir? Was bräuchte ich, um eine richtige, vollständige Figur zu werden?) überschnitten sich auf reizvolle Weise mit denen der Jugendlichen (Was macht mich im Kern aus? Was fehlt mir? Wer bestimmt mein Leben?). Das Spiel mit den Figuren erlaubte den Jugendlichen beides: sie mit eigenen wie mit fremden Fragen und Details auszustatten.

Am Ende geht der Traum der Figuren (selbstverständlich anders als gedacht) in Erfüllung, aber es ist nicht der Autor, der ihnen zu ihrem Glück verhilft, im Gegenteil. Der protestiert gegen die Entwicklung: Er will keine Figur sein, er ist doch der Autor … Würden sich meine abergläubischen Anwandlungen nicht auf den Fußball beschränken, käme ich vielleicht auf die Idee, dass ich dem Autor ein besseres Ende hätte bescheren sollen, dass ich dann jetzt nicht selbst versucht wäre zu rufen: „Halt! Stop! So geht das nicht – ich bin doch die Autorin!“

Wenn Autor.innen für das Theater schreiben, ist die Frage, wie weit, wie frei die Bearbeitung gehen darf, nicht pauschal zu beantworten, immer spielen die konkreten Umstände eine entscheidende Rolle – die öffentlich zu erörtern selten eine gute Idee ist.
Warum schreibe ich dann darüber? Weil EIN STUECK VON MIR mittlerweile eine andere Geschichte erzählt, ja überhaupt ganz anders geworden – und dennoch meines bleibt. Weil ich möchte, dass jede/r, die oder der sich für das Stück oder mein Schreiben interessiert, erfahren kann, dass meine Vorlage als Steinbruch gedient hat und ich dazu mein Einverständnis erklärt habe, auch wenn die Idee der Zusammenarbeit ursprünglich eine andere war.

21 Kommentare

  1. Guten Morgen, liebe Jutta,
    das hört sich sehr gut an und ich gratuliere dir.
    Gerade habe ich mir die Beschreibung von EIN STÜCK VON MIR auf der Homepage des Theater Bonns angeschaut. Warum hast du den Link nicht in deinem Beitrag gepostet? So können sich die Interessierten sich gleich Karten kaufen! Leider ist Bonn für mich zu weit entfernt 😦 gerne hätte ich das Stück gesehen.
    Wirst du bei der Premiere dabei sein? Wie ist das für dich? Ist die Premiere der Höhepunkt deiner Arbeit mit den Jugendlichen?
    Liebe Grüße aus dem sonnigen Berlin von Susanne

    1. Liebe Susanne, vielen Dank für den Hinweis und deinen Kommentar! Als ich ihn las, musste ich ein bisschen lachen – über mich selbst … Mein Ziel, „sportlich“ und professionell mit der Entwicklung umzugehen, die das Stück genommen hat und meine Enttäuschung nicht in den Vordergrund zu stellen, habe ich offenbar etwas übererfüllt. Aber weil sie nicht zu knapp vorhanden ist, werde ich nicht zur Premiere fahren …

      1. Hat sich das Stück so weit von deiner Idee wegentwickelt, Jutta?
        Ist es das, was dich stört? Du hast doch aber den Anstups gegeben, den Anfang ohne den nichts vollendet werden kann.
        Du wirst doch auch in der Ankündigung genannt, auch wenn sich alles entwickelt hat..
        Ich brauche etwas mehr Input, um zu verstehen, was dich verletzt.

  2. Liebe Jutta,
    deses Stück würde ich sehr gerne sehen, allein schon deswegen weil ich ja auch mit Jugendlichen arbeite und sich diese Fragen immer wieder stellen, sodass ich sehr neugierig bin, was du, zusammen mit den Jugendlichen, entwickelt hast. Nun war ich gerade im Netz unterwegs und habe gesehen, dass dies leider wieder ein WE ist an dem ich in der Küche stehe. Ich wünsche dir und den Jugendlichen Erfolg und viele Besucher_innen.
    Herzliche Grüße
    Ulli

    1. Liebe Ulli, wie schön, ich freue mich sehr über deinen Kommentar! Und weil ich selbst den Eindruck habe, dass diese Idee für die Theaterarbeit mit Jugendlichen einiges hergibt, hoffe ich sehr, dass das Stück, das ich geschrieben habe, andernorts zur Aufführung kommt. Denn in der aktuellen Bearbeitung ist das, was mir selbst wesentlich erscheint, leider kaum noch vorhanden …

      1. Dann drücke ich dir feste die Daumen, dass „dein“ Stück einen Aufführungsort bekommt, Freiburg wäre sehr praktisch 😉

  3. Ich verstehe nicht…., warum willst Du nicht zur Premiere fahren….? Weil Du nicht geladen, nicht bezahlt, nicht verstanden, nicht deinen Vorgaben gefolgt wurde, eitel bist, etwas besseres zutun hast, enttäuscht bist, keine Zeit hast.
    Das glaube ich nicht.
    Für mich und bestimmt auch für viele andere, bist Du der Stein des Anstoßes. Wenn Du mit einer Gruppe arbeitest bist Du nicht nur ein Baustein, sondern schlechthin die Bausteine, die nötig sind um eine Geschichte (Stück) zu schreiben. Schreiben zu können. Auch wenn alles eine andere Richtung nimmt, bist Du doch ein Teil der Ursache, oder überhaupt – die Motivation einer Ursache -. Bescheidenheit ist fehl am Platz, aber ich kann auch mal wieder nicht – verstanden – haben.
    Da wo Du warst und bist, erspürt man Dich. Du hinterlässt Deine Spuren, in verschiedenster Art.
    Lieben Gruß

    1. Vielen Dank für deinen Kommentar, für deine Gedanken und Fragen – auch wenn ich darauf hier und öffentlich keine Antwort geben kann … Aber wie gesagt, die Schnittstelle Theater – AutorIn ist eine notorisch schwierige. „Stein des Anstoßes“ – ich werde mir deine Lesart dieser Formulierung merken, vielen Dank auch dafür und herzliche Grüße zurück!

  4. … es scheint eine gratwanderung zu sein…
    ich glaube, oftmals entfernen sich theater-inszenierungen ziemlich weit von der literarischen vorlage. offenbar ist das ja auch erlaubt – und wieder eine kunstform für sich. ist ja auch spannend, was ein(e) regisseur(in) aus einem stück macht, herausholt, wie er (sie) es umsetzt. allerdings gab es ja hier, wie es sich liest, eine engere kooperation, das ist dann natürlich schon schade, wenn sich die vorstellung am ende nicht mehr deckt.
    nimm es halt als erfahrung mit!
    einen herzlichen gruß (und trotzdem: glückwunsch!)
    diana

  5. Ach Jutta ich finde deinen Post hier so schön geschrieben… es tut mir leid das dem etwas zugrunde liegt das dich nun icht zur Premiere fahren läßt. Ich lese Dich so unheimlich gern und finde dich sehr inspirierend, also so richtig, so mit Herz ❤
    Ps.: ich suche schon länger eine anleitung zum Stücke schreiben, da ich merke das meine bilder im Kopf oft die des theaters sind ( hab ein bisschen Theatererfahrung), das Ding ist ich finde keine Literatur dazu – kannst du mir etwas empfehlen?
    Um was geht es in deinem eigentlichen Stück?
    Hab schon gedacht du stellst uns ein paar Figuren vor, die noch ein Zuhause suchen.
    Liebste Grüße

    1. Vielen Dank, ich freue mich sehr über deinen Kommentar, also so mit Herz 😉
      An Literatur fällt mir spontan ein: „Wie Dramen entstehen“ von Klaus Siblewski und John von Düffel.
      Mit den Jugendlichen haben wir etwas gemacht, was die zentrale Herausforderung szenischen Schreibens, glaube ich, ganz gut enthält: „Inszeniere deine Figur!“ (Wie müsste eine Szene beschaffen sein, in der das zentrale Thema, die zentrale Herausforderung der Figur sichtbar werden kann. Wie und wo könnte ihre Not durchschimmern?)
      Ja, vielleicht schreibe ich demnächst mal etwas mehr über das Stück, mal sehen. Aber vorher muss ich dringend etwas über den „Schulhausroman“ schreiben – der hat nämlich nächste Woche Premiere …
      Liebe Grüße!

  6. Hallo liebe Jutta, das tut mir leid zu hören, dass der Text vom STÜCK doch irgendwie kein Stück von dir ist. Und noch schader (doof, dass es das Wort nicht gibt, brauche ich oft), dass du nicht zur Premiere kommst. Wir hätten uns treffen können. Ich mit Volleyball unterm Arm und im Gepäck mit Werder Glückwünschen. Ach, das wäre ein herrlicher Nachmittag geworden. Es grüßt dich lieb
    Claudia;)

    1. Liebe Claudia, die Aussicht, dich mit Volleyball unter dem Arm verpasst zu haben, hat mich sofort eine Email schreiben lassen – aber hier kann ich ja immerhin die Idee unterbringen, dass wir „schader“ ja mal versuchen können in die Welt zu schicken?! Allerdings fürchte ich, dass das auf Kosten des schönen Wortes „bedauerlicher“ ginge, was dann auch irgendwie schader wäre 😉

  7. Liebe Jutta Bassum / Twistringen , den 20.06.2017
    Ja , wenn das ´mal nicht schaderlicherwelcher wäre , bedauerlicherdinge 😉 😉
    Was von Dir ist , ist von Dir – so ist das ; oder wie Popeye sagt :“Ich bin´s , was ich bin´s ! “ 🙂
    Freundliche Grüße vom Interbahnhof

Ich freue mich über Kommentare!

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..