Einen Roman in 60 Minuten erfinden – gemeinsam!

17498816_1241323489256434_5405932536679598207_nEs war ein Experiment. Natürlich. Aber in anderer Weise, als die meisten vermuten würden. Ich wusste, dass es möglich ist, mit einer Gruppe von Menschen innerhalb kurzer Zeit die Handlung für einen Roman zu entwickeln – ich mache das oft in meinen Workshops, in ganz unterschiedlichen Varianten und ich bin selbst immer wieder überrascht, wie viel Spaß es macht und wie gut es funktioniert.
Manchmal ist es der erste Schritt und im Anschluss werden die gerade erfundenen Szenen verteilt, von einzelnen Teilnehmer.innen oder Gruppen aufgeschrieben und schließlich  vorgetragen.

Dieses Vorgehen hält für die Teilnehmer.innen oft eine Reihe von Überraschungen bereit:
1. Eine Geschichte zu erfinden ist weder trocken noch kompliziert – es kann ein großer Spaß sein (Bringe deine Figur in Schwierigkeiten!)
2. Ich muss als Autorin nicht alles erzählen, was ich weiß – ich sollte es auch nicht. (Wie kann ich so erzählen, dass Spannung entsteht?)
3. Schreiben kann leicht und vergnüglich sein (insbesondere für Menschen ohne oder mit wenig Schreiberfahrung erleichtert es das Schreiben, wenn sie relativ genau wissen, was in „ihrer“ Szene geschehen soll).
4. Ich bin ja gar nicht so „unkreativ“ wie ich immer dachte! (Sowohl das gemeinschaftliche, wie auch das jeweilige „Einzel“-Ergebnis ist in aller Regel viel „besser“ als die Teilnehmer.innen vorher für möglich gehalten haben.)

Während es manchmal der Schwerpunkt eines Workshops ist, setze ich das gemeinsame Erfinden auch gelegentlich  spontan ein, wenn nach der Mittagspause alle müde sind oder am Ende des Tages, wenn die kreativen Ressourcen verbraucht scheinen. Bei den Teilnehmer.innen erfreut es sich großer Beliebtheit und für manche ist sogar ein  echtes „Aha-Erlebnis“.
Meistens nutze ich den Geschichten-Generator, aber manchmal frage ich auch, ob jemand eine Idee hat – für eine Figur, für einen Anfang, für irgendetwas, aus dem eventuell eine Geschichte werden könnte oder ich frage nach einem festgefahrenen Romanprojekt. .

Weil dieses gemeinsame Geschichtenerfinden so gut ankommt und weil ich bereits seit längerem mit Formaten experimentiere, die „irgendwas mit Literatur zu tun haben, aber keine Lesungen sind“ und weil ich das Erwachsenwerden des Geschichten-Generators (jetzt kann man ihn kaufen ;)) gebührend feiern wollte, hatte ich die Idee zu der Veranstaltung „Einen Roman in 60 Minuten erfinden“.

Sabine und Axel Stiehler vom Logbuchladen brauchte ich nicht lange zu überreden, wir haben bereits eine Reihe schöner, gemeinsamer Veranstaltungen und Projekte auf und über die Bühne gebracht und so vertrauten sie meiner Zuversicht, dass das „ein großer Spaß“ werden würde, aber wirklich klar war ihnen nicht, was ich vorhatte. Sie befanden sich damit in guter Gemeinschaft, denn so sehr ich mich auch mühte, mir fiel keine gute, knappe Beschreibung ein und selbst, wenn ich erzählte, was ich hier nun auch erklärend zusammengefasst habe, sah ich in eher ratlose Gesichter: Also ist das auch ein Workshop? NEIN! Wird da geschrieben? NEIN! Wenn ich sagte, dass man es vielleicht am ehesten mit Impro-Theater vergleichen könne, musste ich sofort hinzufügen: Aber ihr müsst nichts machen!

Und dann war es soweit. Das Lox war voll. Ausverkauft. Ich habe eine (sehr kurze!) Geschichte zur Einstimmung erzählt und dann haben wir schon angefangen und den klassischen Generator-Start gewählt: Drei zufällig gezogene Karten (eine Figur, ein Ort, ein Satz):

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Lotte (schwer bepackt), Schulhof, Natürlich kann ich das 

Eins wollte ich unbedingt vermeiden: Eine unangenehm krampfige oder angespannte Atmosphäre, in der niemand etwas sagen mag, aber alle sich dazu genötigt fühlen. Die Lösung: erstmal 10 Worte, die mit „L“ anfangen, dann auch noch zehn Verben mit „L“ (L wegen Lotte). Alles wurde von mir vorne auf meinen Lieblingsfolien, die man überall selbsthaftend anbringen kann, notiert. Aber es wäre vielleicht auch gar nicht nötig gewesen, denn es gab sofort zahlreiche Ideen zu den Anfangsfragen:

Was könnte das los sein? Wer ist Lotte? Womit ist sie bepackt?

Ist Lotte eine Schülerin? Mehr Kopfschütteln als Nicken. Aber auch keine Lehrerin, oder? Erneut Kopfschütteln, dann von rechts: „Vielleicht ist Lotte ein Pferd!“ Das war ein wunderbares Signal, denn nun ging es los. Lotte könnte Hausmeisterin sein. Vorschläge, Heiterkeit von allen Seiten, die ich mich nicht scheute zu unterbrechen für den Hinweis: Wir benötigen Schwierigkeiten. Ergiebige Schwierigkeiten!

Sofort kamen wunderbare Schwierigkeiten von allen Seiten geflogen: Lotte könnte verliebt sein – in die Schulleiterin? Und war vielleicht einmal ein Mann? Kennen sie sich von früher? War Lotte der Lehrer von Birgit, der Schulleiterin? Viele weitere Vorschläge, viel Gelächter und damit waren erste, wichtige Etappenziele erreicht: eine lockere Atmosphäre war etabliert, sowie eine Vorstellung von den beiden wichtigsten Bestandteilen, die wir benötigen, wenn wir eine Geschichte erzählen wollen, die vielleicht sogar Romanformat hat: Figuren und Schwierigkeiten, „in denen es um etwas geht“ und die zusätzlich die Handlung nach vorne treiben.

Auch bei Workshops hat es sich manches Mal bewährt, die erste Runde zum Aufwärmen zu verwenden und in einer zweiten auf das große Ganze zu zielen. Dafür hatte ich mir am Tag zuvor zwei Karten und den Anfang einer Geschichte ausgedacht

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Luise (ältere Dame mit Hut), Schiffsdeck

Mein Vorschlag für einen Ausgangspunkt: das Schiffsdeck befindet sich auf ein em Kreuzfahrtschiff und Luise ist dort mit ihrem Mann, einem gerade pensionierten Kriminalbeamten, der sich diese Reise gewünscht hat, Luise wäre lieber zu Hause geblieben, um einem ihrer feinsinnigen Hobbys nachzugehen. Als Luise ihrem Mann von einer seltsamen Beobachtung erzählt, glaubt der ihr kein Wort. Luise will nur ihre Ruhe haben, denkt er … Und erneut kamen sofort und mühelos Vorschläge aus dem Publikum: Was könnte Luise gesehen haben? Wer gerät in Gefahr und wie könnte man die üblichen Erwartungen unterlaufen? Was könnte eine erste Szene sein und würden die Leser.innen mehr oder weniger wissen als die Figuren?

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Entscheidend: Plan entgleist, Casino, Gefahr

An diesem Zeitpunkt ist ein Zeitstrahl hilfreich und auch der passte noch auf die Folie. Am Ende hatten wir tatsächlich einen groben Plot und ein wunderbar begeistertes Publikum (darunter einen tollen Überraschungsgast aus Hamburg!) – nur einen wirklich überzeugenden Namen habe ich noch immer nicht für das, was da passiert ist.

Es ist keine Lesung, kein Vortrag, kein Workshop, es ist auch kein Impro-Theater …

Vielleicht fällt euch etwas ein? Es wäre toll, denn ich würde dieses Angebot gerne ausbauen. Es ist ein schöne Alternative zur üblichen Lesung für Buchläden und Bibliotheken, auf Festivals und in Kneipen. Es eignet sich als Einführung ins Storytelling und als Ermutigung für alle, die auf (gemeinsame) Kreativität angewiesen sind – und wer ist das heutzutage nicht?

Zum Schluss habe ich den Beitrag „Geständnisse aus der Schreibwerkstatt“ vorgelesen. Und weil ich vergessen habe, das schöne Zitat aus Felix Scheinbergers „Mut zum Skizzenbuch“ zu verwenden, notiere ich es hier: „Wenn wir es gerne machen, werden wir es oft machen. Und wenn wir es oft machen, werden wir es gut machen“.

16 Kommentare

  1. „Einführung ins Storytelling – Geschichtenentwickeln auf Zuruf“. Eine Bezeichnung für das Kind habe ich auch nicht, aber das könnte auch ein Titel sein … „Interaktiv“ ist für mich gern eine dieser Hilfe-ich-muss-da-was-machen-Drohungen, das würde mich eher nicht locken.
    Aber, Jutta, das war aber auch wirklich eine tolle Sache, dieser Abend im Lox! Eine gemütliche Kneipe und ein tolles Publikum und du als begeisterte Dirigentin vorn, die gar nicht so schnell aller verrückten Einfälle Herr(in) werden konnte (oder wollte), wie sie auf dich einprasselten. Es war auch deutlich zu sehen, dass du Spaß hattest, und sogar meine so gar nicht schreibende Freundin, die ich mitgeschleppt hatte, fand den Abend hinterher ausnehmend gelungen und hatte sich bestens amüsiert. Und zumindest der Spaßfaktor wäre bei einer reinen Wasserglas-Lesung lange nicht so hoch gewesen.
    Ich habe ein paar Anstöße und interessante Fragen für mein eigenes Schreiben mitgenommen und kaue in meinem stillen Kämmerlein nachdenklich darauf herum. Auch dafür danke; wir haben uns bestimmt nicht zum letzten Mal gesehen/gesprochen, was das angeht …
    Liebe Grüße aus der Hansestadt nebenan
    Christiane 😉

    1. Liebe Christiane, vielen Dank für deinen Besuch der Veranstaltung und für die schöne Rückmeldung! Über einen Punkt freue ich mich besonders: offenbar „funktioniert“ das Programm sowohl für Menschen, die ein klares Interesse am Schreiben haben, als auch für solche, die wie deine Freundin einfach neugierig und offen sind für eine kurzweilige Abendunterhaltung. Das hatte ich gehofft – aber das weiß man vorher natürlich nicht.
      Und deinen Vorschlag mit dem „Geschichtenentwickeln auf Zuruf“ gefällt mir auch – da werde ich mal dranbleiben und ein bisschen brüten 😉
      Herzliche Grüße nach Hamburg und einen möglichst guten Start in die Woche!

  2. Eine wunderbare Idee! Das weckt nebenbei auch das Kind im Menschen, spielen, Geschichten erfinden, Phantasie ihren Lauf lassen, Verrücktes zulassen – und alles in der Gemeinschaft. Ich stelle mir das sehr toll vor, und – dass alle am Ende mit einem Lächeln nach Hause gehen.

    1. Vielen Dank! Ja, offenbar haben einige Leute ihre Lust auf das Schreiben (wieder)entdeckt und darauf, es etwas lockerer, spielerischer anzugehen – jedenfalls habe ich das mehrfach gehört, was auch mich mit einem Lächeln hat nach Hause gehen lassen 😉

  3. einen Namen habe ich auch nicht für dich – am ehesten passt für mich der Titel deines Seminars in Bassum: „Geschichten (er) finden“ – ich wäre gerne dabei gewesen im Lox 😦 muss mich eben noch bis Juli gedulden….durch deinen Bericht habe ich mich an eine Religionslehrerin aus der Unterstufe erinnert, eine pensionerte Pfarrerin, die uns manchmal, wenn wir lange genug bettelten, eine besondere Freude machte. SIe erzählte eine Geschichte, die „der unbekannte Gast“ hieß. Sie fing an, frei !, zu erzählen und wir konnten uns melden und ihr einen Namen zurufen, den sie dann in ihre Geschichte einbaute (zum Beispiel eine berühmte Figut aus der Weltgeschichte). Ich weiß noch genau, dass ich es großartig fand und sie unglaublich dafür bewunderte, wie sie das machte. Die Geschtichten waren immer unglaublich spannend, mit überraschenden Wendungen. Ich glaube, das Zusammensitzen und Geschichten erzählen und den Geschichten zuhören ist in unserer DNA verwurzelt – schön, dass du den Raum schaffst, das zu erleben!

    1. Liebe Carmen, vielen Dank für deinen freundlichen Kommentar und den schönen Bericht von der Lehrerin. Ich habe im vergangenen Jahr erstmals mit Schüler.innen ein reines Erzählprojekt durchgeführt (es gibt in Bremen mit den „Feuerspuren“ ein großartiges Erzählfestival einmal im Jahr und da sind wir aufgetreten) und seitdem reizt es mich sehr, mir das mündliche Erzählen noch etwas mehr zu erobern … Freue mich sehr, dass wir uns bei der Sommerakademie wiedersehen – den Generator bringe ich natürlich mit 😉

  4. Liebe Jutta,
    wie gerne haben ich Deinen Bericht über das „Geschichten erfinden“ gelesen und wie gerne würde ich bei solch einem Abend auch einmal dabei sein! Ich muss mir doch noch einmal Deinen Veranstaltungskalender ganz genau anschauen…
    Das, was Du beschreibst, kenne ich als Moderationsmethode. Das heißt, der Moderator setzt lediglich den Rahmen, wie etwas ablaufen soll, achtet darauf, dass die Teilnehmer sich nicht verrennen (und, wenn es um Konfliktmoderationen geht, auch: sich nicht an „die Köppe kriegen“) und der Ablauf eingehalten wird, ansonsten lockt und motiviert und begeistert er die Teilnehmer zum Mit-Überlegen, Mit-Gestalten, Mit-Lösungen finden. Entstanden ist die Methode in der später 1960er und 1970er Jahren, als man überlegte, wie Planungs- und Gestaltungsprozesse geöffnet und mit größerer (Bürger-)Beteiligung durchgeführt werden können. Ob jetzt aber dieser Terminus technicus als schöner und klingender Begriff für Deine Veranstaltungen herhalten kann, das glaube ich fast nicht. Jedenfalls hört sich für mich nach wie vor „Geschichten erfinden“ sehr viel spannendner an als eine Veranstaltung mit dem Namen „Plot-Moderation“.
    Viele Grüße, Claudia

    1. Liebe Claudia, vielen Dank für deinen schönen Kommentar – ich habe mich sehr darüber gefreut und bin vollkommen sicher, dass das mal klappt mit uns 😉 Dein Hinweis auf die Moderationsmethode hat mich widerum daran erinnert, dass ich kürzlich bei einer Veranstaltung war, in der „Shared Reading“ vorgestellt wurde – das Lesen literarischer Texte in einer Gruppe ohne jeden intellektuellen oder elitären „Schnickschnack“. Erfreut sich in England offenbar kaum zu glaubender Beliebtheit – sowohl an den üblichen Orten (Bibliotheken) wie auch an überraschenden (Knast). Was mich daran interessiert: dass es offenbar ein großes Interesse gibt, miteinander in einen Austausch zu kommen über Wesentliches – ohne in einem psychologisch/therapeutischen Raum zu landen. Gemeinsames Geschichten (er)finden könnte in eine ähnliche Richtung gehen … Wir bleiben da einfach dran, ja?! Ich grüße dich sehr herzlich!

  5. Liebe Jutta ! Twistringen/Bassum , den 28.03.2017
    Es ist immer wieder freundlich , Kommentare dieser (oder ähnlicher ) Art von Dir zu erhalten –
    gerne wäre ich dabei gewesen , wenn ich nicht so´n Schisser wäre , der es mit Abends-spät-
    nach-Hause fahren nicht so hat . . . ( wegen der Spätrabauken eben , die einem einen so freundlichen Abend ganz schön versauen können :- ( ) und eben nicht in Bremen wohnhaft ist –
    leider in diesem Falle . Welch´ein großes Glück 🙂 , daß Du aber auf Deiner Regionaltournee
    auch hier längsseits kommst , damit auch Schreiberlinge wie wir in den Genuss solcher Veran
    staltungen und Geschichtsgeneratoranstiftereien kommen , z. B. durch . . VHS – Kurse oder..
    oder..oder.. . Mit wir meine ich z. B. Renate Friese oder aber auch Carmen Gähr , die hier schon
    ´was hinterlassen hat – ich rede also von mir NICHT in der dritten Person – bin ja kein KaiserWilhelmWiederhabenwollender :-/ !! Was das Spät-nach -Hause-gehen angeht ; ich hatte
    neulich einen VHS-Vortrag zum Thema „Interessengemeinschaft Bassumer Modellbau “ ; Die
    haben ´ne riesen Anlage in HO (1:87/ 1: 100) in Bassum im Güterschuppen – das Ganze ging
    bis 22.00 Uhr – ich war froh , als ich wieder zu Hause war , auch wenn es nur zehn Minuten Weg
    waren , eben in Bassum – aber so blieb mir die Freude und ein paar Photographien erhalten 😉
    Ach ja , wo ich dabei bin ; Was kostet eigentlich der Geschichtengenerator – handsigniert 😉 ?
    So ,mehr fällt mir erstmal nicht ein – ich verbleibe mit freundlichem Gruß – bis Samstag ?!
    Interbahnhof Frank Gottlieb

    1. Lieber Frank, ich freue mich auch immer, von dir zu lesen und dass wir uns am Samstag in Bassum zum Geschichten (er)finden sehen! Der Geschichten-Generator kostet 15 Euro. Für Personen, die an sämtlichen von mir jemals im Bahnhof Bassum veranstalteten Workshops teilgenommen haben (und nur für die) gibts einen Rabatt 😉 Herzliche Grüße!

  6. Ohje,
    Da habe ich Sie leider doch verwechselt,
    Entschuldigung an dieser Stelle und ein frohes Schaffen weiterhin,
    Herzlichst
    Karin Klosa

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