„Ich bin die Einzige in meinem Jahrgang“

Wieviel einfacher, wieviel leichter wäre ihre Situation, wenn Maike nicht schreiben, sondern singen würde. Oder tanzen. Wenn sie turnen würde oder Klavier spielen. Wenn sie Fotos bearbeiten wollte oder Theater spielen. In all diesen Fällen wäre es für Maike relativ einfach möglich, Kurse und Unterstützung zu finden, jedenfalls in einer Stadt von der Größe Bremens.

Maike möchte sich austauschen über das, was sie am liebsten macht, sie möchte besser werden und wünscht sich vor allem Feedback. Konkrete Vorschläge, was sie anders machen kann. Sie hat eine Geschichte geschrieben, aber das Ende gefällt ihr nicht. Auch Kevin schreibt mit großer Begeisterung, aber immer wieder kommt er an einen Punkt, an dem er nicht weiter weiß. Er hat einen ganzen Stapel angefangener Geschichten mitgebracht. Geschichten voller Ideenreichtum und sprachlicher Gestaltungsfreude. Kevin und Maike heißen anders, aber ich bin ihnen gestern begegnet bei einem Workshop zum Thema „Fanfiction“, den die Stadtbibliothek Bremen/Vegesack angeboten hatte. Die Frage, ob sie sich mit anderen austauschen können, verneinen die meisten. „Ich bin die einzige in meinem Jahrgang“, sagt ein Mädchen. Vielleicht irrt sie sich, denn nach meiner Erfahrung gibt es in den meisten Klassen zwei, drei Schülerinnen oder (für viele erstaunlich) auch Schüler, die sehr viel Zeit mit dem Erfinden und Schreiben von Geschichten verbringen – aber oft noch nicht einmal voneinander wissen.

Alle lachen einträchtig, als einer erzählt, dass die Eltern immer alles gut fänden. Oder seine Frage, was er denn anders machen könne, mit dem Hinweis beantworten, er sei doch viel besser im Schreiben als sie, er würde das schon richtig machen. Alle sagen bei der abschließenden Feedback-Runde, wie gut sie die konkreten Rückmeldungen, vor allem die kritischen gefunden hätten und wie gerne sie noch intensiver an den Texten arbeiten würden.

Immer wieder begegne ich Jugendlichen, die begeistert schreiben und sich Unterstützung und Rat wünschen. Kontinuierliches Arbeiten. Und denen ich nicht eine Anlaufstelle, einen Ort nennen kann, an denen genau das stattfindet. An dieser Stelle klafft eine mir unerklärliche Lücke in den Angeboten für Kinder und Jugendliche – vermutlich nicht nur in Bremen. Das ist auch deswegen ärgerlich, weil diese Kinder und Jugendlichen (dass erstaunt mich selbst immer wieder) eben nicht nur aus den typisch verdächtigen, bildungsnahen Milieus kommen. Wieviele kluge Menschen zerbrechen sich das Hirn, wie zumindest Lesefreude bei genau „solchen“ Kindern und Jugendlichen geweckt werden kann und hier sind sie – und werden in aller Regel nicht wahrgenommen. Erstaunlich oft wissen auch LehrerInnen wenig von der heimlichen Leidenschaft fürs Schreiben. (Gerade habe ich in der ZEIT den tollen Beitrag von Mirijam Günter „Und ich sehe ihre Wut“ gelesen, in dem es um den so schwierigen sozialen Aufstieg in Deutschland geht, und um die zahlreichen Codes und Rituale, die „denen von unten“ Gefühle von Fremdheit und Abwertung vermitteln.)

Wie glücklich wäre ich, wären vor allem die TeilnehmerInnen des gestrigen Workshops gewesen, wenn wir uns nach Zürich hätten beamen können, wo es seit 2015 das jull gibt, das „Junge Literaturlabor“. Dort gibt es ein phantastisch phantasievolles Programm für Schulklassen, aber eben auch für schreibbegeisterte Einzelne. Offene Gruppen, Workshops und ein „Mini-Stipendium“, bei dem Jugendliche für einen längeren Zeitraum von einer SchriftstellerIn betreut wird.

Gerade habe ich  noch ein paar andere Dinge zu erledigen, aber ich denke, ich sollte mich demnächst mal auf die Suche nach ein paar Mitstreitern machen, damit es auch in Bremen wenigstens EIN wirklich gutes, regelmäßiges Angebot gibt, das schreibbegeisterte Kinder und Jugendliche unterstützt – gerade wenn sie aus Familien kommen, in denen es eher unwahrscheinlich ist, dass eine Schriftstellerin zum Bekanntenkreis der Eltern gehört …

25 Kommentare

    1. Liebe Gerda, ich freue mich sehr über deine Reaktion – denn ich habe selbst auch das Gefühl, dass die Zeit reif sein könnte, da mal dranzubleiben. Nach den Sommerferien werde ich mit zwei ganz unterschiedlichen Schulprojekten beschäftigt sein – danach sehe ich vermutlich schon ein bisschen klarer … Ich grüße dich sehr herzlich!

  1. Schade, dass Bremen so weit weg ist. Viel Erfolg dir! In Lübeck gibts doch die Bücherpiraten. Vielleicht können sie dir bei der Vernetzung behilflich sein, oder so? (fällt mir nur gerade so ein. Hatte dorthin nie Kontakt, wurden aber mal erwähnt, als es um Jugendschreibgruppen ging.)

  2. Liebe Jutta, im Mai plauderte ich mit einem 9jährigem Mädchen, die wunderbare Gedichte schreibt und sich nun an kurzen Geschichten versucht, sie war so offen und ich habe sie ermutigt weiterzumachen, egal ob alles, was sie schreibt, auf den Boden von Anerkennung und Lob fällt oder nicht. Sie hat sich mein Kinderbuch gewünscht, das sie nun liest. Ich bin jetzt schon auf ihre Eindrücke gespannt. Was wären die Jungen ohne die Ermutigung der Alten? Schön, dass es dich gibt!
    Herzliche Sonntagmittaggrüsse zu dir hin
    Ulli

    1. Liebe Uli, vielen Dank für deinen freundlichen Kommentar – ich habe mich sehr darüber gefreut! Meine Erfahrung ist, dass 80 – 90 % der Menschen, denen ich in Kursen/Workshops usw. begegne, ganz unabhängig von Alter und Bildung zunächst vor allem eins benötigen: Ermutigung … Schön, wenn wir gemeinsam daran arbeiten, solche Orte zu schaffen … Wünsche dir einen guten Start in die Woche!

  3. Ich war damals in der Schule auch die einzige (bis auf Brieffreundinnen, mit denen ich mich auch gegenseitig „rezensierte“), das hat mir später schon helfen können als ich ein Mädchen, L., traf, die das Problem der Jugendlichen aus deinem Workshop kennt. Die gab ihren Output dann zweitweise mir und hat mich auch irgendwann mal gebeten, ihr einen Charakter zu schreiben Laut L. bleibt dem Gros der Leute in dem Alter oft nur so was wie fanfiktion.de etc., wo dann die qualitativ guten untergehen in einer Masse an Schund. (Ich habe mich da vor Jahren zu Recherchezwecke mal versucht einzulesen.) Es ist schade, auch weil die qualitativ guten mit denen in eine Schublade gesteckt werden. Sonst bliebe denen wohl nur zu bloggen (bei mir lesen ein-zwei junge Damen, die ihre Geschichten verbloggen, gelegentlich.) Hier wo ich wohne gibt es ein Angebot für Jugendliche, aber es ist kostenpflichtig und sehr selektiv darin wer aufgenommen wird. Das ist schade. Dass sich ein qualitativ gut schreibeneder Hauptschüler (das gibt es) unter lauter Gymnasiasten, die allein ob ihrer Schulbildung meinen sie seien die neuen Superstars nicht wohlfühlt und daher auch keinen Ansporn gewinnen kann, kann ich nachvollziehen.

    1. … also wenn ich mir vorstelle, was für ein enormer finanzieller Aufwand betrieben wird, damit dem deutschen Fußball aber auf gar keinen Fall ein Talent entgeht. Wie viele „Scouts“ da unterwegs sind und wieviel Geld z. B. in Schulung der Nachwuchstrainer gesteckt wird. Ein Bruchteil dieser Ressourcen für Kinder und Jugendliche, deren Leidenschaft das Schreiben ist, sollte im Land der „Dichter und Denker“ doch eigentlich möglich sein …

      1. Ich kann zum Fußball-Thema nichts sagen, aber du als Fan kennst dich natürlich aus. An den Internationalen Schulen, an denen ich Bibliothekarin war gab es auch Kurse und die Kinder wurden schon in der dritten Klasse mit einen System ähnlich dem von deinem Geschichtenwettbewerb oder (für uns Erwachsene) dem Generator konfrontiert. An einer sollte zum Beispiel jedes Kind ein Kärtchen ziehen und zu dem Wort auf den Kärtchen („Ritterburg“, „Alien“, „Schlossgespenst“, weiß ich noch, aber da war noch viel anderes, das Drittklässler so interessiert dabei) einen Text machen. Ansporn: Die fünf besten kommen ins Jahrbuch. Die Klasse hatte fünf Schüler, aber der psychologische Effekt…)

        Weißt du was ich glaube warum so etwas nicht gefördert wird: Bringt kein Kapital. So ein Jung-Fußballer bringt Kohle, so ein Jung-Schreibermensch nicht. Plus den Fakt der Mainstream-Verlag-Konzentration und deren „Anforderungen“. Ich bin mir nicht sicher, dass einer ohne Germanistik-, Literatur- oder gleich beides als abgeschlossenes Studienfach heute noch genommen wird, unabhängig davon ob er DAS Manuskript schlechthin liefert. Meine eigene Erfahrung erstreckt sich fast nur auf Magazine, aber da habe ich mehrmals erfahren „Einserprüfung in Medizin“ – von meinem Zweitberuf -,“soll Sachbücher machen, ist als Belletristik nicht vermarktbar.“

        Mir tut das immer leid für die, die qua Schulbildung sofort keine Chance haben. Eine der besten, ich meine das ernst, Lyrikerinnen, die mir je begegnet sind ist mein Jahrgang und hat Hauptschulabschluss. Die kann machen was sie will, die nimmt keiner.

        Und das schlägt sich auch bei Kindern durch. Das ist schade, denn auch damit könnte man Sozialverhalten, Integration und Inklusion stärken, si nach dem Motto Okay, kann der [Beispiel] Finn nicht gerade toll Grammatik und Co und er wohnt im Hochhaus, aber erzählen kann er und so’n Hochhaus hat bestimmt ein paar spannende Geschichten und nicht nur Assis oder Warum darf die Acelya nicht beim Sport mitmachen? Vielleicht will sie ja. Kann sie doch mal ne Geschichte schreiben über’n Mädchen, das gerne Leichtathletik mitmachen will, aber nicht mit den anderen in die Duschräume kann oder so.

        Das Atelier-Kind findet es zum Beispiel auch scheiße, dass Hase Felix nie bei gehörlosen Kindern war (Gehörlosistan gibt es als Land eben nicht) und sein Klassenkamerad Friedrich, dessen Mutter an einer Discounterkasse sitzt fühlt sich auch unterrepräsentiert. So was kommt einfach nicht vor und da könnte man doch die Kinder ermutigen, selber…

  4. Hallo Petra,

    ich würde den jungen Menschen, den Hoffnungsträgern der neuen Zeit, empfehlen, sich bei neobooks zu registrieren und eine eigene Austauschgruppe in der Community zu gründen. Dort schauen auch Lektoren rein und entdecken das, was gut ist.
    Und was noch nicht so gut ist, dass jemand es entdeckt, kann dort doch zumindest im Austausch – in der Community halt – Verbesserung erfahren. Die Registrierung ist kostenlos, dann kann man ins Forum gehen und sich dort austauschen. Es muss von den jungen Schreibern halt dort nur mal jemand den Anfang machen. Ich bin erst seit letzter Woche dabei, habe aber das Gefühl, dass jeder dort das finden kann, was er braucht.
    Magst Du den Tipp weitergeben? An „Kevin“ und „Maike“ einen lieben Gruß! Ich weiß, wie sie sich fühlen! Ich war in meinem „letzten Leben“ 😉 Grundschullehrerin und habe selbst mit den formalen Fesseln der Schule zu kämpfen gehabt. Ich hatte einige Schreibtalente dabei, denen ich immer wieder Mut gemacht habe. Die meisten hatten ihren ganz eigenen Stil, unglaubliche Ideen, die sich nicht irgendwo einfügen ließen. Deswegen gab es bei mir auch oft ganz freie Schreibgelegenheiten … auch gemeinsames Brainstormen, eine Ideencloud, dann das Umsetzen durch einzelne Schüler in Worte. Nur doof, wenn man dann nachher eine Note drunterschreiben soll (ehrlich – ich habe das geHASST!).
    Heute dampft bei mir nur der Kopf … bei fast 30°C fiel mir nur noch ein, unterm Kirschbaum zu sitzen und seine Früchte zu entsteinen. Die dürfen sich jetzt bis zum nächsten Marmeladenevent im Tiefkühlschrank abkühlen. Na ja, mit denen möchte ich auch nicht tauschen, dann lieber schwitzen!!!
    Liebe Grüße und noch einen schönen Sonntag,
    Ulrike, die gespannt ist, was Du hier zum angeschnittenenen Thema bewegen kannst

    1. Vielen Dank für deinen Hinweis und den Bericht deiner Erfahrungen! Ich weiß, dass der Austausch auf Plattformen gute und wichtige Hinweise geben kann und ich weiß auch, dass es immer wieder – insbesondere für „Schreibnovizen“ jeden Alters – wichtig und hilfreich ist, über längere Zeiträume ganz reale Unterstützung im Schreibprozess zu erfahren … Beste Grüße und einen guten Start in die Woche!

  5. Hallo Jutta, herzlichen Dank für den Hinweis auf Mirijam Günter „Und ich sehe ihre Wut“, ich kann die Situation nur zu gut verstehen. Ich hatte gehofft, dass es heute besser geworden ist aber ich denke, es hat sich noch verschlechtert. In den 70gern war die Chancengleichheit größer als heute. Liebe Grüße von Susanne

    1. Liebe Susanne, ich habe vor Jahren einen Artikel von Mirijam Günter gelesen, der mich sehr beeindruckt hat – über ihre Arbeit mit Jugendlichen und finde auch diesen aktuellen so gut und wichtig, dass ich ihm eine große Verbreitung und Resonanz wünsche. Und ich stimme dir leider zu: Auch ich habe das Gefühl, dass es eher noch schwieriger, dass der Spalt größer und tiefer geworden ist, dass wir schon mal weiter waren, was man ja nicht zuletzt auch an den Geschlechterrollen-rosaundhellblau-Geschichten sieht … Viele Grüße und eine gute Woche!

  6. So ein Angebot hätte mich auch unglaublich bereichert in meiner Jugend. Echt schade, dass es sowas zu meiner Zeit nicht gab. Aber ich werde weiterüben und auf meinem Weg Menschen finden mit denen ich mich connecten kann! 🙂

    1. Vielen Dank für deinen Hinweis und – ja, um Menschen zu finden, mit denen man sich hilfreich austauschen kann, muss man oft ziemlich lange suchen … Viel Glück dabei und überhaupt gutes Gelingen!

  7. Juttas Schatzkästchen. Liebe Jutta, damit meine ich deinen Blog mit immer neuen Fundstücken.

    Nach den Sommerferien geht es auch bei mir weiter mit dem Laborieren in der Kita- und Hort-Schreibstube. In der Arbeit, die ich mir vorgenommen habe, die auch schon ein Bilderbuch-mit Text lang verwirklicht worden ist, spielt auch die Illustration eine große Rolle, zumindest bei den unter Sechsjährigen. (Da ist dann das Know-How von Susanne Haun gefragt!)
    Ich würde mich freuen, wenn wir uns über Schreiberfahrung mit Kindern austauschen können.

    Und dann ist da noch der Artikel von M. Günter. Schon vor über 30 Jahren war das ein ganz großes Thema in meiner sozpäd. Ausbildung, aber ich habe es lange aus den Augen verloren. Obwohl ich nach großer Pause wieder in diesem Bereich arbeite und das Wort (oder Gespenst) ‚Chancengleichheit‘ täglich durch die Flure geistert, scheint es mir tatsächlich ein Wesen aus roasrotem Rauch – nicht ernstgenommen, aber gern benutzt.
    Jetzt werde ich mir erst einmal Gedanken über meine eigene Sozialisation im Abstand vieler Jahre machen. Um einen besseren Blick durch das verschmierte Fenster sozialpädagogischer Theorien zu bekommen.

    Also wieder einmal einen herzlichen Dank an dich und die zu dir gehörenden Denkanstöße!

    Liebe Grüße – Sylvia

    1. Liebe Sylvia, vielen Dank für diese schöne Rückmeldung – ich habe mich sehr darüber gefreut und was den Austausch betrifft, da bin absolut sicher, dass wir das hinbekommen 😉

  8. Hallihallo liebe Jutta, Super Idee. ich hätte gleich zwei Kinder, die sofort dabei wären… 😉
    LIeben Gruß, Sandra

  9. Bassum , den 08,10,2016
    Liebe Jutta !
    Ich habe diesen frdl Bericht von Dir noch gar nicht richtig wahr
    genommen und will zumindestens
    erstmal mich ueber die frdl berue
    hrenden ausfuehrlichen Zeilen
    freuen – zu Mehr langt’s erstmal
    nicht, ist etwas sehr umstaendlich
    mit diesem Geraet !! Ich habe auch erstmal den Text nur querge

    lesen – ich bin muede und hier

    funktioniert ‚ was nicht. ScheissTechnology

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