#fluchtgeschichten: Leichtes Gepäck

Leichtes Gepäck, denke ich und sehe einen Picknickkorb vor mir. Obwohl der vermutlich gar nicht leicht ist. Wer trägt schon einen Picknickkorb? Der kommt doch in den Kofferraum, oder nicht? Eventuell in den Fahrradanhänger. Aber man trägt ihn nicht durch die Gegend. Wer kauft überhaupt all diese Körbe, die es seit Jahren in diversen Ausführungen und Preisklassen gibt und von denen auch für mich ein unbestimmter Reiz ausgeht, den ich peinlich berührt schnell runterschlucke.  Weil sie dem Kindergeschirr ähneln, das ich einmal besaß? Weil sie Teil eines aufgeräumten Lebens zu sein scheinen, das ich manchmal gerne lebte?

Leichtes Gepäck, denke ich und sehe meine Tante vor einer Weltkarte mit unzähligen bunten Punkten stehen. Der ersten Weltkarte meines Lebens. Meine Tante, die immer behauptet hat, sie würde, was sie für einen Wochenend-Trip benötigt, in eine Handtasche bekommen. Ich sehe die Handtasche noch vor mir, es ist vierzig Jahre her und es war eine Tasche, die vielleicht doppelt so groß war, wie meine Kindergartentasche. Gut, vielleicht dreimal so groß. Aber es war kein Beutel oder Sack, es war eine sehr rechteckige Tasche, wie sie Männer in Filmen auf Expeditionen mit sich tragen.  Meine Tante war wohlhabend und wusste, dass sie sich auf der ganzen Welt kaufen könnte, was immer sie bräuchte.

Ich denke an K., den ich vor Jahren in einer anderen Stadt kennenlernte, als es noch keine „digital natives“ gab. Ich denke an K., der geflohen ist und nur „leichtes Gepäck“ mitnehmen konnte. „Übers Gebirge“ musste er und hat nur mitnehmen können, was er tragen konnte. Gut tragen konnte. Was ihn nicht einschränkte in seiner Beweglichkeit. Das war wichtig. Einer dieser riesigen Rucksäcke wäre unmöglich gewesen. Also nur das Nötigste. Was wäre für mich das Nötigste? Als K. mit leichtem Gepäck floh, waren Fotos und Texte noch an Orte gebunden. Hätte ich Fotos mitgenommen? Briefe? Gegenstände? Ein Messer sicherlich. Stifte und Papier. Wieviel Papier hätte ich eingesteckt? Hätte ich darauf vertraut, überall Papier zu bekommen? In den Bergen? Zigaretten. Wäre ich so bedrängt gewesen, dass ich fliehen müsste, hätte ich auch ganz sicherlich geraucht. Verbandsmaterial. Tampons. Was würde ich zu essen mitnehmen, zu trinken? Wieviel? Sind manche derjenigen, die jetzt fliehen müssen so unvorbereitet angesichts dieser Fragen, wie ich es wäre? Und wen kann man fragen? Sind diejenigen, die Antwort geben können nicht schon weg, schon unterwegs? Mein kleiner Rucksack wäre schon längst voll und ich hätte noch nicht einmal Klamotten zum Wechseln eingesteckt. K. konnte auf die Flucht kaum etwas mitnehmen und was er mitnahm, ging verloren.

Dieser Text ist Teil der Blogparade #fluchtgeschichten des Münchner Literaturfestes.

10 Kommentare

  1. „Weil sie Teil eines aufgeräumten Lebens zu sein scheinen, das ich manchmal gerne lebte?“ schön gesagt. Ja, die Sehnsucht danach ist groß, je mehr man sich auf unbekanntes Terrain wagt.

  2. Verzeiht meine Gedanken!
    Wir sind Menschen, wir haben uns unsere Ordnungen geschaffen. Wir fühlen uns bedroht, von einer Größe, die wir nicht einschätzen können. Es sind nicht mehr einzelne Schicksale, sondern globale. Es ist eine riesige Welle, in der wir glauben zu ertrinken.
    Jeder weiß, sobald wir die Tür unseres Hauses öffnen, wird Raum eingenommen, den wir hergeben. Wie können wir klagen, wenn beim Verlassen ein Rest von dem bleibt, was vormals anwesend war.
    Wir (ich) müssen lernen, uns in unserer realen und fiktiven Angst an zu nehmen. Wir dürfen uns vertrauen.

    1. Liebe Monika: „Wir dürfen uns vertrauen.“ Schöner Schlusssatz! Und ja, gerade geraten Ängste aller Art wild durcheinander. Da ist es immer gut, sie mal in Ruhe auseinander zu dröseln und sich klar zu machen, dass reale und „gefühlte“ Bedrohung manchmal wenig miteinander zu tun haben. Und da, wo es tatsächlich Probleme, Überforderungen usw. gibt, muss eben engagiert nach Lösungen gesucht werden. Dann „schaffen wir das schon“ 😉 Herzliche Grüße!

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