Nach dem Roman ist vor dem Roman

Gestern war es soweit! Ich saß im Bremer Ostertorbuchladen hinter einem freundlicherweise grünweiß eingedeckten Lesetischchen, die unvermeidliche Lampe schien auf die aufgeschlagen vor mir liegenden „Wiederholten Verdächtigungen„, ich fragte mich, ob ich es riskieren sollte, von dem Mineralwasser zu nippen, obwohl es Kohlensäure enthielt, was mich in der Vergangenheit schon in die Nähe unangenehmer Situation gebracht hatte (unkontrolliertes Aufstoßen!), ich fragte mich weiter, warum die tatsächliche von der vorab berechneten Lesezeit abwich und ich glaube, es war in genau diesem Moment, dass ich spürte: es wird Zeit, den neuen Roman zu beginnen!

Zum Glück traf mich diese Erkenntnis nicht unvorbereitet, denn „eigentlich“ habe ich schon mit dem Schreiben eines neues Romans begonnen: es gibt einen (für meine Verhältnisse) detaillierten Plot, es gibt zwanzig Seiten halbwegs vorzeigbaren Text und eine Fülle an verstreuten Notizen. Und ich war diese Woche in einer Bremer Schule, um zu recherchieren, um Eindrücke zu sammeln, denn meine Protagonistin, eine junge Schriftstellerin (oder ist sie vielleicht „nur“ Bloggerin?) wird im Rahmen ihres Aufenthaltsstipendiums eine Schreib-AG leiten müssen – und wird es dabei nicht leicht haben. Also werde ich an den nächsten beiden Dienstagen mit Schüler:innen einen Schreib-Workshop veranstalten, weil der letzte schon ein bisschen zurückliegt.

Dann kann es doch losgehen? Noch nicht ganz. Einen Monat muss ich mich noch gedulden, muss ich noch andere angefangene (Text)-Projekte zu einem (zumindest vorläufigen) Ende bringen – muss ich die allerletzten Feinarbeiten am „Geschichten-Generator“ vornehmen, damit er dann (Hurra!) in die Serienproduktion gehen kann. Aber weil die Gefahr groß ist, dass immer noch etwas dazwischenkommt, habe ich heute beschlossen: Am 1. November geht es los! Ab da wird es feste Zeiten für den Roman geben …

Wie immer freue ich mich über Eure Fragen, Anregungen oder Erfahrungen: Wie geht ihr ein neues (Schreib)-Projekt an? Was müsst ihr wissen über einen Text und was ergibt sich erst „unterwegs“? Der spanische Schriftsteller Javier Marías schreibt dazu in einem sehr interessanten Beitrag in der gestrigen FAZ: „Wenn ich schon alles von Anfang an weiß, worin liegt der Reiz, es zu Papier zu bringen, wenn ich dabei nichts Neues erfahre?“ Was meint ihr?

19 Kommentare

    1. Liebe Birgit, weniges motiviert ja die Schriftstellerin so sehr zu emsiger Arbeit, wie das Wissen, der Text wird freudig erwartet 😉 Und die Drohung mit Kohlensäure bewirkt dann ein übriges. Und so ein bisschen werde ich über den Fortgang der Arbeit hier wohl auch berichten. Aber am allerwichtigsten: Cool, dass du wieder da bist!

  1. Wozu Lesungen doch so gut sind… Ich bin dann auch einmal sehr neugierig auf Deine Berichte vom Schreibprozess und freu mich drauf, dass irgendwann wieder eine neue „Reichelt“ schön gebunden vor mir liegt!
    Viele Grüße, Claudia

    1. Liebe Claudia, ich bin selbst auch neugierig und erwartungsfroh. Gerade kommt es mir so vor, als wenn ich den neuen Roman mit einer Klarheit vor mir sähe, nach der ich bei den „Wiederholten Verdächtigungen“lange suchen musste. Aber vielleicht gerate ich in ganz andere, neue Schwierigkeiten? Und ich möchte gerne ein paar Sachen ausprobieren, die ich gelegentlich (und mit voller Überzeugung) anderen empfohlen habe – z. B. als erstes mit den Szenen zu beginnen, die sehr deutlich „da“ sind, die entscheidend sind und dann erst in einem zweiten Schritt zu schauen, wie komme ich da jeweils hin? Wie sollen die Verbindungen aussehen? Aber es gibt auch eine große Versuchung, zumindest so lange es „geht“, normal vorzugehen, also in der Abfolge zu schreiben, wie ich mir auch den späteren Text (zumindest jetzt) vorstelle … Herzliche Grüße!

      1. Auf welche Weisen ein Roman entsteht bzw. entstehen kann und was Du hier über Deine Schreibprozesse schreibst, das finde ich ja zutiefst spannend. Master-Arbeiten oder andere w(geistes)wissenschaftliche Arbeiten unterschiedlicher Längen zu schreiben, finde ich ja kein Problem, aber wenn es um Fiktion geht, scheint mir das doch alles sehr mit Hexerei und Zauberei zu tun zu haben. Ich freue mich jedenfalls auf ganz viele Werkstattberichte – und denke jetzt einmal über Deine beiden Vorgehensweisen nach.
        Viele Grüße, Claudia

        1. Liebe Claudia, ich freue mich über dein Interesse sehr! Als ich mit dem Bloggen anfing, waren die „Wiederholten Verdächtigungen“ in dem Stadium, dass es „nur“ noch ums Überarbeiten ging. Und auf eine Weise, die hier den Rahmen sprengen würde, war es bei diesem Text auch ein spezieller Prozess, den ich jetzt viel besser verstehen und vielleicht auch beschreiben kann. In die Arbeit am neuen Roman hingegen gehe ich mit viel klareren Vorstellungen – was das Schreiben allgemein betrifft, aber vor allem auch mein eigenes und ich bilde mir ein, dass diese Werkstattberichte tatsächlich ganz interessant werden könnten 😉 Jedenfalls motiviert mich die Vorstellung sehr, den Eindruck von „Hexerei und Zauberei“ aufzulösen … Sehr herzliche Grüße!

  2. Liebe Jutta,
    auch wenn eine Geschichte im Kopf fertig ist, ist es doch etwas ganz anderes sie in ein Wortgewand(t) gekleidet zu sehen – zumindest stelle ich mich das so vor (und hoffe dieses Prozess irgendwann einmal selbst umzusetzen). Und ein Kochrezept zu lesen bewirkt doch auch, dass mir das Wasser im Munde zusammen läuft und auch weil ich weiß, was alles auf dem Weg zum fertigen Gericht zu geschehen hat, lasse ich mich weder vom Kochen noch Essen abhalten 🙂
    Und noch viel wichtiger: die Dinge müssen aus meinem Kopf raus, da sie darin ein Eigenleben entwickeln und von anderen Wichtig- oder Nichtigkeiten wie Arbeiten, Schlafen etc. ablenken. Dabei ist völlig egal, um welche Art von Einfall es sich handelt…
    Herzliche Grüße und in Erwartung neuer Werkstattberichte
    Kathrin

    1. Liebe Kathrin, freue mich sehr über deinen bildreichen Kommentar und kann dir nur zustimmen! Das Gerüst im Kopf und die allmählich entstehende Geschichte auf dem Papier sind zwei ganz unterschiedliche Dinge und ich bin mir sehr sicher, dass du dazu bald auch aus der eigenen Werkstatt berichten kannst – und dann tauschen wir uns gepflegt aus 😉 Herzliche Grüße!

  3. Liebe Jutta,
    Gerüst bauen und Szenen schreiben, das kann ich ganz gut mischen. Dachte ich.
    Das Gerüst entwickelt sich sowieso im Kopf, muss dann stichwortartig festgehalten werden.Jetzt ist nur die Frage, ob es günstiger ist, Szenen chronologisch abzuarbeiten oder nicht. Wahrscheinlich ist es wieder einmal der Mittelweg.
    Ich habe gerade zum ersten Mal Szenen wild durcheinander geschrieben, die zwanzigste vor der fünften, dann die neunte usw. Jetzt stehe ich vor einem Wust, der nicht recht zusammenpasst. Ich sitze inmitten meines Szenensalats, habe den Roten Faden verloren, weil sich während des Schreibens Entwicklungen ergeben haben, die nicht zum ursprünglichen Plot passen. Im Grunde bewege ich mich mittlerweile in mehreren unterschiedlichen Geschichten. Das habe ich als sehr anstrengend empfunden, mir dann aber einen Satz in Erinnerung gerufen, den ich einmal beim Pumuckl gehört habe. Nebenbei: Ich mag den kleinen rothaarigen Kerl überhaupt nicht! Aber diesen Satz: „Es ist wie es ist, und es kommt wie es kommt.“ Ist das nicht auch deinem Credo nahe: „Lasset die Geschichten zu mir kommen.“? Das versuche ich jetzt, lehne mich zurück, denke vor mich hin und warte auf das Leuchten, auf das „Ja! So und nicht anders!“.
    Mein Weg ist, glaube ich, der des chronologischen Schreibens mit der Erlaubnis für Ab- und Umwege.
    Der Nachteil am konsequenten Plot, der keine Abwege zulässt, ist ganz sicher die Langeweile, die sich beim Schreiben einstellt.
    Ich bin gespannt, wie du dein Romanpferdchen aufzäumst!

    1. Liebe Sylvia, leider birgt jeder Weg, jede Vorgehensweise ihre „Gefahren“ und Nachteile und ärgerlicherweise müssten wir immer schon wissen, wie es hinter der Weggabelung weitergeht, um die richtige Entscheidung zu treffen – was wir aber eben i.d.R. nicht können.
      Trotzdem: so wie ich mir deinen Szenen-Salat vorstelle, glaube ich, dass du da vor einem ziemlichen Schatz sitzt, oder um im Bild zu bleiben: vor einem ganzen Menu. Jetzt musst du „nur“ noch herausfinden, welche „Zutaten“ in welchen Gang gehören … Wie wäre es, wenn du alle Szenen jeweils auf einer Karte notierst? (Gibt es auch in der digitalen Variante, aber ich finde auch manchmal die gute alte Karteikarte ganz nützlich 😉

      1. Liebe Jutta, von den guten alten Karteikarten habe ich Stapel, weil ich sie nämlich auch bevorzuge. Danke für die Idee!

Ich freue mich über Kommentare!

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