Kleine Lockerungsübung für das Schreiben von Geschichten

In Werkstätten begegne ich oft Menschen, die in ihrem normalen Alltag ohne größere Anstrengung Texte unterschiedlichster Art schreiben, wie z. B. E-Mails oder SMS. Gleichzeitig fällt es ihnen schwer (oder ist es ihnen nahezu unmöglich) die Idee für eine Geschichte in einem ersten Entwurf zu notieren. Sobald sie beginnen wollen, schieben sich ganze Regalmeter der Weltliteratur (oder auch der neben dem Bett sich stapelnden Bestseller) zwischen den Stift und das Papier.

„Schreiben ist ein Prozess“, sagt sich leicht und ist oft schwer zu realisieren. Wie Maler auf einer ersten Skizze den Ausschnitt, das Motiv erproben und später auf vielen weiteren an einzelnen Details arbeiten, so kommen wir, wenn wir schreiben wollen, nicht daran vorbei, uns in vorläufigen, unvollkommenen Skizzen unserem Text zu nähern. Immer wieder einen anderen Aspekt, ein anderes Detail in den Blick nehmend.

Und vielleicht hilft es, wenn wir uns für den allerersten Entwurf in den inneren „Zustand“ versetzen, in dem wir die E-Mail an eine Freundin schreiben (nicht an den Chef!). Eine Freundin, die wir lange kennen und der wir jetzt von unserem neuen Kollegen erzählen wollen oder von der seltsamen Begegnung im Urlaub oder davon, dass unsere Mutter neuerdings behauptet, sie hätte in den frühen Jahren ihrer Ehe einen Liebhaber gehabt, der dann plötzlich nicht mehr auftauchte. Und jetzt frage sie sich, ob der Vater jemand beauftragt haben könne …

Einfach mal den Umriss einer Geschichte skizzieren. Ohne auf einzelne Wörter zu achten oder die Reihenfolge. Drauflos schreiben. Wiederholungen sind erlaubt und Ausschweifungen und „Längen“. Nichts muss prägnant und „verdichtet“ sein. Das alles kommt später. Jetzt wird erstmal erzählt und fabuliert und nach unserer Erzählfreude Ausschau gehalten …

8 Kommentare

  1. Danke für die Tipps. Bin grade ganz am Anfang des Bloggens, dazu ist Deutsch nicht meine Muttersprache. Aber ich werde trotzdem weitermachen 🙂

  2. Ich stelle mir immer gleich das fertige „Endprodukt“ vor, und dann will ich den Text in 5 Minuten schreiben, weil ich glaube, ihn schon zu kennen. Und dann stehe ich vor diesem Abgrund zwischen leerem Papier und diesem fertigen Text „da drüben“. Wenn ich Glück habe, erinnere ich mich daran, dem Prozess zu VERTRAUEN und dann folgt ein Gedanke dem anderen. Sobald mir so eine Gedankensammlung einigermaßen umfangreich erscheint, lasse ich auch leicht wieder überholte Gedanken ziehen. Manchmal, wenn ich noch mehr Glück habe, setzt sich dann der Text vor meinen Augen und unter meiner Schreibhand zusammen und wenn ich dann noch viel mehr Glück habe, ist dieser Text ein völlig anderer, als derjenige, den ich mir zu Beginn vorgestellt habe. Und wenn ich es recht überlege, hat das alles nichts mit Glück zu tun, sondern mit Vertrauen. Wenn ich dem Prozess vertraue, kommen die Schreibgötter und helfen mir unendlich viel, wenn ich kein Vertrauen habe und glaube, ich müsste mir alles selbst hart erarbeiten, wird mir genau das zuteil: ich arbeite hart und das Ergebnis sieht dann auch genauso aus.

  3. Liebe Martina, vielen Dank für diese schöne Schilderung! Ich empfinde es sehr ähnlich! Wenn ich unbedingt „originell“ sein will oder vielleicht die Autorin „kluger“ oder sonstwie „bemerkenswerter Texte“ – dann wird ganz sicher nichts draus. Wenn ich mich hingegen mit großer Offenheit und Neugierde umsehe und darauf vertraue, dass sich aus den tiefen Schichten, auf denen ich stehe, schon etwas lösen oder jedenfalls bewegen wird, dann kann mir schon nicht mehr viel „passieren“ … Ja, dem Prozess vertrauen – das ist wirklich alles!

Ich freue mich über Kommentare!

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