31. Warum wir über Sprache und Stil vielleicht erst mit einer kleinen Verzögerung nachdenken sollten

Eine der größeren Herausforderungen beim Schreiben besteht darin, dass wir über zwei konträre Fähigkeiten verfügen müssen, die wohl nur nacheinander, aber nicht gleichzeitig auszuüben sind: zunächst das spielerische, experimentierfreudige Entwickeln und Phantasieren und dann das kritische und „strenge“ Überarbeiten und Verbessern. Natürlich lassen sich diese Tätigkeiten in der Realität oft nicht voneinander trennen – aber gerade zu Beginn des Schreibens ist es sinnvoll, sich auf eine Aktivierung der kreativen Regungen und Impulse zu konzentrieren und der ewigen Nörgelei über die eigene Unzulänglichkeit mal eine Pause zu verordnen.

Die idealtypische Teilnehmerin einer Schreibwerkstatt lässt sich auf dieses „Programm“ ein, schreibt eine Reihe von  Skizzen und Notizen – und bald zeigen sich Wiederholungen in Tonlage, Textsorte, thematischen Schwerpunkten, die von der aufmerksamen Werkstattleiterin aufgegriffen werden. Die Arbeit an einem geeigneten („das ist es, was ich schreiben will“) kleineren oder größeren Textprojekt kann beginnen. Die Schwierigkeiten des Anfangs werden überwunden, das gewachsene Selbstvertrauen erlaubt es, nacheinander einzelne Aspekte des Schreibens (Figuren, Plot, Dialoge) kritisch in den Blick zu nehmen und dann – und meiner Meinung erst dann – sollte man sich mit der Sprache beschäftigen und damit nicht mehr aufhören, solange man schreibt.

Dass die Fragen von Sprache und Stil in meiner idealen Werkstatt erst so spät gestellt werden, liegt also nicht an ihrer Unwichtigkeit (sie sind immens wichtig), sondern daran, dass sie so eng mit Vorstellungen von falsch und richtig verbunden sind, dass sie oft alle kreativen Bemühungen ersticken, solange diese noch zaghaft sind. Aber dann! Dann beginnt eine genaue Lektüre, die alles in den Blick nimmt, was überflüssig ist oder phrasenhaft. Einige „Stilsünden“ werde ich hier in loser Folge vorstellen.

Und obwohl ich mir normalerweise viele LeserInnen für diesen Blog wünsche, endet dieser Beitrag also mit einer Warnung: Lesen Sie diese folgenden Beiträge  nicht, wenn Sie gerade versuchen, in eine möglichst mühelose Schreibpraxis zu finden! Lesen Sie sie auf keinen Fall, wenn Sie beim Schreiben ständig mit Gefühlen der Unzulänglichkeit zu tun haben und insgeheim oder lauthals fürchten, Sie besäßen kein Talent zum Schreiben. Diese Beiträge richten sich an Menschen, die diese Phase überwunden haben – von jederzeit möglichen, kleinen Rückfällen einmal abgesehen.

11 Kommentare

  1. Theoretisch stimme ich dir unbedingt zu, liebe Jutta. Praktisch habe ich in vielen vielen schreibenden Jahren gelernt, dass es nicht jedem gegeben ist, erstmal zum kreativen Wurf anzusetzen und Sprache und Stil für den zweiten Durchgang zurückzustellen. Die folgenden Beiträge werde ich in jedem Fall lesen – ob sie nun motivieren oder gerade das Gegenteil bewirken. 😉

    1. Liebe Maren, vielen Dank für deinen Hinweis – zumal das ja „eigentlich“ mein wichtigstes Credo ist: Menschen unterscheiden sich in fast allem und auf jeden Fall in der Weise, wie sie schreiben! Wer deinen Blog liest, sieht ja sofort, welch wunderbare Verbindung Kreativität und Ausdrucksvermögen da miteinander eingehen – aber du bist halt auch ein Profi mit viel Schreibpraxis, während in den Werkstätten oft Menschen sitzen, die aus nachvollziehbaren Gründen vor allem eins sind: gehemmt! Und dann verweigere ich auch noch, was der oft erklärte Wunsch der TN ist: sprachliche Korrektur. Der Beitrag war daher auch ein Versuch, halbwegs verständlich zu erklären, wie das sein kann, dass ich die sprachliche Form so überaus wichtig nehmen – und dazu trotzdem oft in Werkstätten erstmal nicht viel sage …

      1. Danke für die Blumen, liebe Jutta!
        Wie gesagt, ich bin ganz deiner Meinung, dass es sinnvoll ist, im ersten Durchgang „quick and dirty“ zu arbeiten. Habe das nur leider selbst nie wirklich gut hingekriegt. Gelegentliche Ladehemmungen (bis heute) inklusive, was ja ebenfalls die Richtigkeit deines Ansatzes bestätigt. 😉 Ich glaube, ich erledige eine Art kreatives Rausrotzen gedanklich beim Spazierengehen.
        Liebe Grüße!

        1. „Kreatives Rausrotzen“ und „quick und dirty“ gefallen mir sehr und wandern sofort in meinen aktiven Wortschatz … Und an Tätigkeiten, die Bewegung in den Kopf bringen, kann ich sehr empfehlen: gemächliches Zerkleinern von Gartenabfällen für den Kompost und Gemüseschnibbeln – eigentlich alles, was genug Aufmerksamkeit bindet, so dass ich nicht „bewusst“ und grüblerisch nachdenke und andererseits nicht zuviel, so dass das Hirn noch freie Kapazitäten hat …

  2. Ich bin selbst jemand, der erst einmal schreibt – und dann liest (letzteres fällt mir aber sehr schwer). Ich kann also nur aus eigener Erfahrung sprechen – aber ich glaube auch, dass das Schreiben zunächst der Überwindung, dann dem Freilassen, Sich-gehen-lassen, dann der Routine, die mit der Übung kommt, bedarf. Nur nicht zu sehr verkopfen anfangs! Das hemmt.

    1. Liebe Birgit, Maren hat mich ja vollkommen zurecht daran erinnert, dass es auch anders geht, aber für viele ist das sicherlich ein guter Weg, den du und ich und viele andere da bestreiten. Manchmal denke ich, dass der größte Unterschied zwischen Menschen mit viel und mit wenig Schreibpraxis ist, dass „Profis“ den ersten Textentwurf mit großer Selbstverständlichkeit als etwas Vorläufiges betrachten.
      Übrigens dachte ich gestern an dich, als ich den schönen Titel „Brecht zusammen“ im Programm des Kaiserslauterer Straßentheaterfestivals „Alles muss raus!“ las – hört sich doch vielversprechend an, oder?!
      Herzliche Grüße und nochmals: Gratulation zum Einjährigen (ich kann das ja noch immer nicht richtig glauben und vermute, dass du diverse andere Blogs zu Übungszwecken unter einer Tarnexistenz geführt hast)!

      1. Ich denke einfach auch, dass es vor allem die Praxis macht – nachdem ich ja berufsmäßig jetzt seit sage und schreibe 30 Jahren (!) schreibe, wenn auch Gebrauchstexte (Journalismus, PR, Waschzettel): Es bringt die Routine. Einfach erst einmal schreiben, sich trauen.
        Brecht zusammen – wunderbarer Titel 🙂
        Und: Nein, das ist mein erster und einziger Blog. Keine Tarnexistenz sonst irgendwo:-)
        LG Birgit

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