Versuche über Fußball: „Stilübungen“ – nach der großartigen Vorlage von Raymond Queneau

Da stoppte mich etwas mitten in der Bewegung, das weiter in der Tiefe stattfand. Zumindest der Schmerz, der fand in der Tiefe, fand im rechten Schienbein statt. Aber das Besondere, das wohl Entscheidende passierte weiter oben: An irgendeiner Stelle rebellierte mein Körper gegen diese immer wiederkehrenden Attacken.
Es war ein Allerweltsfoul, tausend mal erlebt von den Niederungen der E-Jugend an, lautstark gefordert von ganzen Tribünen voller Trainer, die meine Gegenspieler mein Fußballerleben lang angebrüllt hatten „dran bleiben“, „geh drauf“, „stell ihn“ und eben auch „hau ihn um“. Und obwohl ich nie ernsthaft verletzt wurde, war ich dieser Grätschen, Sensen und Tacklings auf einmal überdrüssig, vermochte sie nicht mehr als Teil des Ganzen zu begreifen.
Und so nahm ich den Ball, der ins Seitenaus gerollt war und mir von einem sehr jungen, beflissenen Balljungen entgegengestreckt wurde und warf ihn meinem Gegenspieler zu. „Dann nimm ihn doch einfach“, sagte ich zu ihm, „wenn du ihn so unbedingt haben willst, dann nimm ihn doch einfach“, und verließ das Spielfeld.

 

Genauigkeiten

Vor 38500 Zuschauern, bei 23 Grad im Schatten bedrängte mich, 2 Meter von der Außenlinie und 40 Meter von der Eckfahne entfernt, um 16.49 ein 1,87 Meter großer und 85 kg schwerer Mann, bekleidet mit einem Trikot der Größe XL auf dem in 4 cm großen Buchstaben „Pick“ stand. Der Ball rollte 3 Meter ins Seitenaus und wurde mir von einem elfjährigen, 1,52 m großen Jungen zugeworfen. Ich sprach 17 Worte zu dem anderen Mann. Um 16.50 verließ ich das Feld durch den 2 m hohen und 3,50 m breiten, sog. Spielertunnel.

 

Traum

Mir war es, als befände ich mich in einer Schlucht. Steil ragten Felsvorsprünge vor mir auf und nur an einigen, wenigen Stellen erreichte mich ein Lichtstrahl, gebündelt wie von einem Scheinwerfer. Ein Mann kam mir entgegen, der immer kleiner wurde, je näher er mir kam und trotz aller Winzigkeit eine beeindruckende Hässlichkeit ausstrahlte. Er wollte offenbar etwas von mir, aber da er in einer fremden Sprache zu mir redete und zudem auch noch winzige, aber umso aufgeregtere Sprünge dabei vollführte, konnte ich nicht verstehen, was es war. Da er mir irgendwie leid tat, der kleine Kerl, suchte ich in meinen Taschen, bis ich ein rundes Schokoladenbonbon fand und warf es ihm so zu, dass es direkt vor seinen Füßen landete. Sofort trat der kleine Kerl dagegen, worauf er wieder zu wachsen begann und auch seine irritierende Hässlichkeit verlor. Auch die Felsvorsprünge, die wie Betonträger die Schlucht umrahmten, schienen zu schrumpfen und ich befand mich plötzlich wieder in einer offenen, lichten und nur von einigen Bäumen umgebenen Ebene.

 

Regenbogen

Eines Tages befand ich mich auf einem violetten Rasen und spielte mit ein paar Freunden in indigofarbenen Trikots. Einer von ihnen rannte auf mich zu, so dass ich sein blaues Bein sehen musste. Sofort spielte ich ihm den grünen Ball zu und sagte ihm mit reichlich gelber Stimme, dass er ihn behalten könne, bis sein anderes Bein orange würde. Ich beendete dann das Spiel, sah aber, dass meine Freunde noch ein rotes Tor schossen.

 

Negativitäten

Es war weder ein Garten noch eine Turnhalle, sondern ein Fußballstadion. Es war weder am Morgen noch am Abend, sondern am Nachmittag. Es war weder ein Foul, noch eine Rudelbildung, sondern ein Zweikampf. Es ging weder um die Ehre, noch um Geld, sondern um den Ball. Es war weder ein Wadenbeißer, noch ein Fußballgott, sondern ein Abräumer. Es war weder eine Kurzschlußhandlung, noch ein lange gehegter Plan, sondern eine Eingebung.

 

Ungeschickt

Also ich bin ja nun nicht gerade ein großer Schreiber. Also Aufschreiber, falls man das so sagt. Eher ein Redner oder jedenfalls rede ich lieber, als dass ich was aufschreibe oder zumindest erzähle ich schon, wenn mal was war. Was Besonderes war. So wie das hier, aber das ist halt so besonders, dass ich es aufschreiben will. Oder soll. Also eigentlich soll, weil mein Bruder, der kann richtig schreiben und der will auch Geld damit verdienen und der schickt immer irgendwelche Sachen weg und hofft dann, dass das jemand druckt, aber bislang waren die immer zu blöd, um das zu verstehen und jetzt hat er gesagt, ich soll das mal aufschreiben, was da passiert ist und dann hat er es nämlich leichter, ist ja klar. Deswegen ist das ja auch eigentlich egal, wie ich das schreibe, weil es geht ja nur darum, dass ich da war, also im Stadion, als der K. sein letztes Spiel gemacht hat. Ich und meine Kumpels haben das gar nicht kapiert, dass der einfach keinen Bock mehr hatte, wir dachten ja, der ist verletzt und ham noch applaudiert, das ist, was mich am meisten ärgert, dass der sich da verpisst und wir klatschen und rufen und feiern den und jetzt ist es zu spät, der wird ja nicht noch mal kommen, nur um sich von uns auspfeifen zu lassen!

 

Inszenierung

Ich war in einem Stadion voller Schauspieler, die sich nach genauen Anweisungen auf den Rasen, die Bänke, die Kurven und Geraden verteilten. Alle wirkten sehr erfahren. Dann kam es zu einem Zwischenfall – ob er zu der Inszenierung gehörte oder improvisiert war, weiß ich nicht. Der eine Schauspieler warf dem anderen vor, ein falsches Stück aufzuführen und erklärte mit großer Geste, dass er unter diesen Umständen an der weiteren Aufführung nicht mitwirken würde. Dann ging er an den anderen Schauspielern vorbei in Richtung des Ausgangs, wobei die Schauspieler auf den Rängen sehr unterschiedlichen Regieanweisungen folgten: einige klatschen, manche pfiffen, vereinzelt wurde der Name des Schauspielers skandiert und die meisten bemühten sich, den Eindruck großer Fassungslosigkeit zu vermitteln.

 

Haiku

Inmitten des Lichts
umringt von Üblichem
wagt er das Neue

 

9 Kommentare

  1. Top! Und die Krönung: Dieser wunderbare Haiku am Schluß. Den wünsche ich mir als eigenen Beitrag nochmals extra – und noch mehr davon 🙂 Fußball-Haikus wäre überhaupt eine schöne Sache 🙂

    1. Liebe Birgit, vielen Dank für diese so positive Reaktion! Es wird dich nicht wundern, dass die Autorin weniges so gerne liest, wie: Mehr davon 😉 Herzliche Grüße!

  2. Variation #250 – der Stotterer: Fffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffffff………(Nach Wunsch folgt Fortsetzung, ich will auch nichts vorwegnehmen, auch wenn ich glaube, es ist von Fffffffffussball die Rede)

  3. Meine Version des Negativen:
    Und schon wieder wurde ich von so einem wiederwertigen Spieler gefoult. Gewaltsam tritt er mir mit voller Kraft gegen mein rechtes Schienbein, ohne den Willen, ansatzweise den Ball treffen zu wollen. Immer wieder tat er dies, doch den abgestumpften Schiedsrichter schien dies nicht zu interessieren. Doch ich hielt stand.
    Es war kein besonderes Foul, eins was von den Trainern, Mitspielern und dem Publikum gefordert wurde, eins um Mal wieder auf skrupellose Art den Spielfluss für sich zu bestimmen. Doch ich hatte es satt! Ich wollte kein Teil mehr des Ganzen sein. Ich wollte keine Fouls und Tacklings von diesen angriffslustigen Spielern, keine Zurufe von diabolischen Trainern, den jedes Mittel Recht erschien, um zu Gewinnen. Und dann war es soweit. Ich nahm den Ball und warf ihn skrupellos in das Gesicht des Gegners. „Dann nimm ihn doch!“ schrie ich „Dann nimm ihn doch, wenn du so gewinnen willst! Giftig verlies ich anschließen das Feld.

    Simon Hartmann
    Schüler der IGS Stade

    1. Sehr geehrter Herr Hartmann,
      es erfreut mich so ein lyrisches Meisterwerk in meinen Augen zu erblicken. Ein unglaubliches Talent spiegelt sich wieder!

      Hochachtungsvoll
      Dr. Prof. med. Rabbit

Ich freue mich über Kommentare!

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..